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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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schauen. »Ich träume davon, dass Tod in meinem Schatten wandelt. Schon seit Screes Fall. Ich glaube beständig, dass ich die Schritte der Schnitter am Rand meiner Hörweite wahrnehme. Der Boden zu meinen Füßen bewegt sich, als öffne sich ein Grab vor mir. Ich erinnere mich an den Schmerz, den Aryn Bwr verspürte, als er im Kampf niedergestreckt wurde, und er ist mir so vertraut, dass ich mich sogar danach sehne.«
    Er richtete sich wieder auf, und seine Gesichtszüge wurden hart. »Und heute Nacht sehe ich einen schwarzen Hund mit glühenden Augen vor mir auf der Straße, was meine Mutter stets als
Omen des bevorstehenden Todes betrachtet hat. Wer wird diese Bürde nun also mit mir teilen?«
    Lesarl blickte ihn besorgt an. Für einen Moment sah Isak den Haushofmeister so, wie er eigentlich war: Unter dem berechnenden Äußeren und dem sardonischen Lächeln war Lesarl nur ein Mann mit einer Menge Sorgenfalten im schmalen Gesicht und einem nervösen Zittern, das seinen knochigen Leib vom Scheitel bis zur Sohle erschaudern ließ.
    »Wir alle werden Eure Last mit Euch teilen, mein Lord«, sagte Lesarl nach einer Weile und hatte sich wieder im Griff. »Eure Berater, mein Gefolge, die Palastwache, der ganze Stamm. Wenn Tod Euch heimsucht, werdet Ihr nicht alleine sein.«
    Isak seufzte. »Nett von Euch, das zu sagen. Ich vermute zwar anderes, aber wenn die Zukunft unveränderlich wäre, wäre ich bereits tot, also habt Ihr vielleicht Recht. Kommt jetzt, es wird Zeit, die Vorbotin unseres neuesten Problems zu treffen. Ihr werdet sie hassen.«
    »Die Weißaugen-Tochter eines Lords?«, fragte Lesarl und blickte missbilligend zu Boden, während er neben Isak die Straße entlangging. »Vermutlich habt Ihr damit aber Recht.«

4

    Lesarl überließ den Lord seinen Gedanken, während sie durch die verwaisten Straßen gingen und sich ihren Weg durch dunkle Gassen suchten, bis sie schließlich den Hafen verließen und in bessere Stadtviertel kamen. Der Haushofmeister musste fast laufen, um mit Isaks langen Schritten mitzuhalten, aber er war froh darüber, dass sie zügig vorankamen, denn die Nacht war kalt und seine gewaltige Nase und die Wangen fühlten sich bereits wie Eiszapfen an. In den langen Jahren seiner Dienste für den Lord der Farlan hatte er sich niemals an die nächtliche Kälte in den Straßen Tirahs gewöhnt.
    Es war seltsam, die Stadt so ausgestorben zu sehen. Der Jägerweg und die Palaststraße waren Hauptstraßen, die sonst einzig bei dichtem Schneefall leer waren. Die hohen Steinhäuser ragten still und dunkel auf und nur gelegentlich zeigte sich hinter geschlossenen Läden ein Lichtschimmer. Sie wiesen die Unterkünfte der Nachtwachen und Diener aus, wohingegen die Stadthäuser der Händler so dunkel waren, als wären sie unbewohnt, denn es drang kein Licht durch die schweren Vorhänge, die vor jedem Fenster hingen, um die Wärme innen zu halten.
    Zwei Palastwachen trieben sich auf dem Iriennplatz herum, der halboffen neben dem Jägerweg lag und von Regierungsgebäuden umgeben war. Sie erkannten Isak an seiner Größe,
salutierten, machten aber keinerlei Anstalten, auf ihn zuzukommen.
    Bald hatten sie den Springbrunnen auf dem Platz der Vorburg erreicht, unmittelbar an den hochaufragenden Palastmauern. Auf dem offenen Platz schien es nach den umbauten Straßen noch kälter zu sein, und als Isak vor der Statue auf dem Springbrunnen stehen blieb, fühlte es sich für Lesarl, der gehorsam hinter seinem Herrn Position bezog, so an, als fließe gerade der kostbare letzte Rest Wärme aus ihm heraus.
    Weißaugen! Wenn sie über etwas nachdenken, sind sie alle gleich, dachte Lesarl und unterdrückte einen Schauder, als ihm Lord Bahl einfiel. Er hat nicht lange gebraucht, diese Rolle anzunehmen. Früher mag ich davon geträumt haben zu herrschen, aber jetzt weiß ich es besser. Ich wusste damals nicht, dass Macht den Menschen unvorhersehbare Narben schlägt. Lord Bahl sprach einmal davon, dass sich seine Seele abgewetzt anfühlte, so fadenscheinig, dass sie kaum noch vorhanden war. Ich denke, nach der Sache in Scree wird es bei Isak bereits das Gleiche sein. Wollen wir nur hoffen, dass nicht auch sein Untergang davon eingeleitet wird.
    »Ein Jahr. Gerade mal ein Jahr«, grollte Isak aus dem Schatten seiner Kapuze.
    »Seit Ihr diesen Weg das erste Mal gegangen seid?«, fragte Lesarl. »Ja, ziemlich genau, mein Lord.«
    Er beließ es dabei, denn er wusste, dass das Weißauge nicht auf ein Gespräch aus war. Stattdessen

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