Sturmauge
»Aber erinnere dich: Sein Problem sind Raland und Embere. Er kann unmöglich mit einem Erstschlag aus dem Norden rechnen.«
»Also bleiben wir bei unserem Plan?«
»Sicher. Den Hellsehern zufolge befinden sich seine Truppen vor Akell, aber ich bin sicher, dass er sich in den Süden der Runden Stadt zurückziehen wird, also achtet er nicht auf seinen Rücken.«
Vesna zog eine zusammengerollte Karte aus der Satteltasche und spannte sie im Gehen auf, damit Isak daraufschauen konnte.
Sie hielten auf eine Erhebung zu, die aus wenig mehr als ein paar Felsen bestand, die von den Wurzeln einer uralten Eiche zusammengehalten wurden. Aber sie bot immerhin etwas Schutz vor den neugierigen Augen der Soldaten.
»Die Runde Stadt ist größtenteils von Weideland umgeben, und das ist zu unserem Vorteil. Eine südliche Stellung bietet gute Fluchtwege und behindert den Angreifer etwas. Sie müssen durch die Engstelle zwischen der Stadt und dem Moor kommen, was bedeutet, dass der Weg des Feindes vorhersehbar ist und man hier einige Überraschungen für sie vorbereiten kann. Man kann Bogenschützen und leichte Kavallerie für einen verteidigten Rückzug aufstellen und sie dadurch zur Verfolgung locken – und beim Rückzug dann die Brücken über die Flüsse vernichten. Und man stellt auf allen Seiten Magier auf, um den Angreifer weiter zu zermürben.
»Ist das nicht ein bisschen zu offensichtlich?«
»Ja – aber wir sind doch auch diejenigen, die auf eine Schlacht aus sind. Chalat braucht den Platz, damit seine Truppen beweglich bleiben und wir unsere Überzahl nutzen können – und wenn wir erstmal die beiden Flüsse hinter uns gelassen haben, dann haben wir mehr als genug Raum. Er ist über die Maßen von der Moral seiner Truppen überzeugt. Der Feind weiß genau, womit er sich anlegt. Man kann Hellseher nur schwer von einer marschierenden Armee ablenken.
Isak verzog das Gesicht. »Je mehr ich davon höre, umso schlimmer klingt es. Sprich mit General Lahk, bring mir Alternativen.« Sie erreichten die Erhebung kurz nach Kommandant Jachen.
»Als würde man sich zum Pissen hinter einem Baum verstecken – nur auf religiöser Ebene.« Isak seufzte.
Jachen zog ein viereckiges Holzbrett aus dem Sack und steckte die hölzernen Halter hinein. Auf das Brett war eine Ikone der
Königin des Verfalls gemalt. Sie war mit allen Ehren vom Tempel des Todes entliehen worden, eine kleine eiserne Weihrauchschale hing daran. Es war kein Geheimnis, dass Isak jeden Abend zur Königin betete, aber hätte er es öffentlich getan, so hätten sich die anderen verpflichtet gefühlt, es ihm gleichzutun.
»Besser als nichts, mein Lord«, sagte Vesna, als Jachen den Feldschrein abstellte und sich zurückzog. »Wenigstens ist klar, dass du nicht von den Männern des Heeres verlangst, zu ihr zu beten. Die Nachricht, die mir Lesarls Mann in meinen Schlafsack gesteckt hat, war in diesem Punkt vollkommen eindeutig.«
Isak rümpfte bei diesem Gedanken die Nase. »Sie wird die einzige unter den Göttern sein, die mächtiger wird. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie diese Macht nutzen mag.« Er winkte zum Schrein hinüber und beinahe sofort stieg ein schmutziggrauer Rauch davon auf.
»Äh, mein Lord?«, fragte Vesna, als sich Isak vor den Schrein kniete. Er hob einen abgebrochenen Ast auf und hielt ihn Isak hin. »Wenn du etwas Heißes bereit haben willst, wenn du fertig bist …«
»Ich bin kein Affe, der Kunststücke vorführt, weißt du?«, grollte Isak. Dennoch streckte er die Hand aus und ließ kurz Stränge grünen Lichts über seiner Handfläche erscheinen, die sich in armlange Flammen verwandelten.
»Auf diese Weise würde ich nie mit dir Geld verdienen«, sagte Vesna lächelnd.
Isak grunzte nur. Er verstand zwar den Scherz, der reichte allerdings nicht aus, um seine Stimmung zu heben.
Der Ast fing schnell Feuer und Vesna wandte sich wieder dem Lager zu. Während er losging, folgten ihm der bittere Geruch des Weihrauchs und Isaks murmelnde Stimme. Als ein auf dem Wind reitendes, fern gurrendes Frauenlachen erklang und ein toter Finger über sein Rückgrat glitt, ging er schneller.
Nicht zum ersten Mal presste Vesna die Finger auf seinen linken Unterarm und fuhr über das flache Silberkästchen, in dem Karkarns Träne ruhte. Diese Handlung erinnerte ihn an den Tod seines Vaters, von dem er die beiden als Rangzeichen dienenden Goldohrringe geerbt hatte. Er hatte fortwährend überprüft, ob die Erbstücke auch sicher saßen – und
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