Sturmauge
die Herzogin.
Der kleine Junge drehte sich um und lächelte sie an, was ausreichte, um alle Sorge aus ihren Zügen weichen zu lassen, zumindest so lange, bis er sich wieder zum Fenster drehte.
»Der Junge will mich umbringen. Eine seltsame Wahl – er kennt die Gefahren.«
»Die eine Hälfte wird von einem Chetse-Weißauge angeführt.«
»Lord Chalat? Hervorragend. Sende ihm Träume von Dämonen, fache seine religiöse Raserei weiter an. Er wird den Kreuzzug vorantreiben und so verhindern, dass Lord Isak die Zeit findet, sich um die Menin zu kümmern oder Byora anzugreifen. Er kann den Kreuzzug nicht verlassen.«
»Werdet Ihr mit Lord Styrax verhandeln?«
»Er darf nicht von mir erfahren, noch nicht. Ilumene wird ihm das Heer der Herzogin anbieten.«
»Wollt Ihr die Farlan auslöschen?«
»Nein, ich will nur, dass beide Seiten bluten. Sag den Narren, sie sollen sicherstellen, dass Lord Isak entkommt. Dieser Krieg darf keine Entscheidung erleben, aber nach der Schlacht musst du einen Weg finden, Kohrad Styrax zu töten.«
»So soll es geschehen.«
Die Verbindung wurde getrennt, und Ruhen trat vom Fenster weg und wandte sich seiner Adoptivmutter zu. Sie streckte erneut die Arme aus, und er stapfte zu ihr, erlaubte ihr, ihn zu umarmen. Einige Küsse, ihre Finger in seinem weichen, braunen Haar – und schon war Natai Escral, die Herzogin von Byora, beruhigt.
»Ach, du spielst schon wieder mit dem Buch«, säuselte sie.
»Ein beinahe ebenso großes Rätsel wie mein wunderschöner kleiner Junge sein. Und was hast du durchs Fenster gesehen, lieber Ruhen?«
»Soldaten, Mutter«, antwortete Ruhen mit unschuldiger Stimme.
Bei diesen Worten lächelte sie strahlend, sah dann zu Haipar hinüber, aber die Stammesfrau aus der Brache schien nicht bemerkt zu haben, dass sie ihre Stellung verloren hatte.
Haipar wäre es sogar egal gewesen, wenn sie es überhaupt bemerkt hätte. Sie nahm kaum noch jemanden wahr, denn sie war in ihre eigene Krankheit und ihr Leid versunken, hockte beständig zuckend und starrend in einer Ecke. Wenn ihr Ruhens Anwesenheit auffiel, sah sie immer aus wie eine Maus aus, die von einer Katze erschreckt wurde.
»Ja, mein Liebling, die Stadt ist voller Soldaten, aber sie stehen alle im Befehl. Keiner von ihnen darf dir wehtun.«
»Nicht hier, dort draußen.« Er wies zum Horizont und nun spannte sich die Herzogin an. »Reiter«, fügte er zur Sicherheit hinzu.
Sie trug ihn zum Fenster, konnte außer der Stadt aber nichts sehen. Ruhen zeigte nach Norden, aber sie entdeckte nur Nebel und Rauch. »Sie machen mir Angst«, fügte er zum Spaß hinzu.
Sie legte ihm schützend den Arm um die Schulter. »Niemand wird dir jemals wehtun«, sagte sie, dann wandte sie sich an Ilumene. »Sergeant, schickt einen Diener zum Turm des Vier. Sagt Magier Peness, dass er nach Nordwesten spähen soll.«
Ilumene verzog das Gesicht und kämpfte sich auf die Beine.
Die Herzogin lächelte auf Ruhen hinab. »Vielleicht ist unser Prinz noch viel außergewöhnlicher, als wir dachten?«
Mit dem Rücken zur Herzogin wandte sich Ruhen dem Fenster zu, damit sie die tanzenden Schatten in seinen Augen nicht
sah. Weit unter ihm versammelte sich eine Menschenmenge – größtenteils Bettler und Vagabunden. Sie hatten schon einige Stunden vor dem Tor gelagert, hatten sich kurz in Sicherheit gebracht, solange Kiyer, die Göttin der Sturzflut, die Straßen reingewaschen hatte, nur um dann wieder hervorzukriechen, als das Wasser verschwunden war. Immer mehr gesellten sich hinzu und lungerten im Schatten des Rubinturms herum.
Es sprach sich herum, auch dank Luerce und seiner kleinen Truppe aus Schülern. Die leeren Tempel und Kämpfe auf den Straßen sorgten dafür, dass viele nach etwas suchten – nach irgendetwas, an das sie glauben konnten. Nur die Verzweifeltesten warteten vor dem Tor des Turmbereichs und hofften darauf, Ruhen zu erspähen. Aber es war immerhin ein Anfang. Ruhens Geduld war unendlich, und sobald es sich über die Runde Stadt hinaus herumgesprochen hatte, würde es auch auf die Ohren der Verlorenen treffen, die die neuen Geschichten der Harlekine gehört hatten.
»Können wir in das Tal zurückgehen?«, fragte Ruhen.
»Willst du die geflügelten Männer noch einmal sehen?«
Sein ernstes Nicken rief ein weiters Lächeln hervor. »Nun gut, dann gehen wir noch einmal hin. Lord Styrax wird froh sein, uns wiederzusehen. Er will ja, dass wir alle Freunde sind. Würde dir das gefallen?«
Ruhen dachte
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