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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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fließenden Schritten, die Vesna an Mihns Bewegungen erinnerten. Bei diesem Gedanken lief es ihm kalt den Rücken herunter. Er wusste, dass Mihn zum Harlekin ausgebildet worden war, dass man Großes von ihm erwartet hatte, aber die Aura des Geheimnisvollen dieser maskierten Künstler erreichte ihn aus seiner eigenen Kindheit, um ihn erneut in ihren Bann zu schlagen.

    Der Harlekin blieb schlagartig stehen, als er sie bemerkte und starrte Mihn einige Augenblicke lang an. »Ich werde nicht auftreten, solange das hier die Luft verpestet«, sagte er ausdruckslos.
    Das Geschlecht der Harlekine bildete ein streng gehütetes Geheimnis. Vesna erinnerte sich an eine Geschichte, derzufolge ein Säufer einmal entschlossen gewesen war herauszufinden, ob der Harlekin, der seinen Lord unterhielt, weiblich gewesen sei. Es war vermutlich nur eine Geschichte, die so herumerzählt wurde, um die Leute abzuschrecken, aber in ihr war ausführlich und blutig beschrieben worden, wie der Betrunkene den Kopf und seine Gliedmaßen verlor.
    »Ich werde gehen«, antwortete Mihn nach langem Schweigen. »Ich werde meinen Lord nicht beschämen, indem ich die Unterhaltung störe.«
    Diese Worte ließen den Harlekin hinter seiner Maske kurz nach Luft schnappen, aber bevor er antworten konnte, trat Vesna zwischen sie.
    »Komm schon. Wir sollten etwas unternehmen, um unsere Laune zu heben.«
    Mihn warf ihm einen misstrauischen Blick zu, wobei seine Nasenflügel bebten, und Vesna bemerkte, dass der Mann sich nur schwer zusammenreißen konnte. Er wollte nicht abwarten, wie lange es dauerte, bis die beiden zu den Waffen griffen.
    »Einige meiner Freunde feiern heute Abend in einer Schenke. Komm, wir wollen uns zu ihnen gesellen.«
    Vesna führte Mihn die Treppen hinunter, von dem Harlekin weg, der sie im Auge behielt, und achtete darauf, diesen nicht zu berühren. Er hatte Mihn kämpfen sehen. Er bewegte sich beinahe übernatürlich schnell und dabei geradezu zerstörerisch.
    Erst am Fuße der Treppe holte Mihn wieder Luft. Er wandte dem Harlekin, der noch immer hinter ihnen hersah, den Rücken zu. »Ihr sagtet etwas von einer … Schenke …«, setzte er an.

    Vesna kicherte und wagte es, ihm auf die Schulter zu klopfen. »Ja, damit meinte ich Bordell, aber sie schenken dort auch einen verdammt guten Wein aus, und das andere würde dir sicher ebenso guttun.«
    Er zog Mihn in Richtung Vorburg und weg von dem reglos dastehenden Harlekin.
    »Komm, mein Freund«, sagte Vesna fröhlich. »Es heißt, dass eine der Frauen dort ebenso beweglich sei wie du. Das sollte eine bemerkenswerte Begegnung sein.«

12

    Mihn und Graf Vesna gaben ein seltsames Paar ab, während sie durch die fast leeren Straßen Tirahs ritten. Seit dem Sonnenuntergang war es merklich kälter geworden, und das kalte Funkeln der Sterne brach sich im Frost auf jedem Stein und jeder Dachschindel. Sie brauchten nicht lange bis zum Hambleweg, wo viele der kleineren Händler Tirahs lebten und arbeiteten. Er unterschied sich gewaltig von den Anwesen der wirklich Reichen, war tagsüber gut besucht und nachts angenehm ruhig. Im tiefsten Winter jedoch wirkte hier alles, wie im Rest der Stadt auch, wie ausgestorben. Es herrschte zwar nicht der Prunk, den die Altstadt südlich des Palastes zu bieten hatte, aber die Läden und kleinen Werkstätten, von denen sich eine an die andere reihten, machten guten Umsatz. Darum waren die Häuser auch groß, mit vielen Wasserspeiern darin.
    Aus den fünf schlanken Türmen der Akademie der Magie schimmerten bunte Lichter durch den Kaminrauch. Die Akademie verzichtete auf die Läden und schweren Vorhänge, mit denen der Rest der Stadt die Kälte abzuwehren versuchte. Die Kälte der Nacht hatte die meisten Leute bereits in ihre Häuser getrieben, und die wenigen, die noch draußen waren, eilten vorüber, weil sie die Aufmerksamkeit der Reiter nicht auf sich ziehen wollten.

    »Darf ich dir eine Frage stellen? Eine persönliche, meine ich?« Vesnas Stimme erschien ihm ungewöhnlich laut, aber Mihn antwortete nur mit einem nachdenklichen Nicken. »Ich frage aus Neugier, nicht, um dir etwas vorzuwerfen, aber warum hältst du an deinem Schwur fest, wenn du einen Weg suchst, Isaks Zwecken zu dienen? Du bist ausgesprochen gut mit dem Stab, aber deine wirkliche Begabung liegt doch woanders. Du hast lange Buße getan, reicht das nicht? Du solltest nicht den Rest deines Lebens leiden.«
    »Ich denke, es ist aber richtig, dies zu tun.«
    »Du sagst, du habest dein Volk

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