Sturmauge
Bürger der Stadt empört, indem sie in den Gärten ihr Lager aufgeschlagen hatten, denn sie hatten sich im belebten und begrenzten Palast von Tirah nicht recht wohlgefühlt. Die Kleriker der Stadt hatten bisher jedoch nur pro forma Anklage wegen Hexerei erhoben. Hexerei war nicht schlimmer als Magie und die Priester machten sich mehr Sorgen wegen der Magier, die traditionell ihre Gegenspieler und außerdem noch reicher und nicht in Begleitung eines schrecklichen Halbgottes waren.
»Um diese Zeit willst du die Hexe besuchen?«
»Mich quälen viele Fragen, und ich glaube, sie kennt das Wesen des Landes besser als jeder andere, dem ich meine Gedanken anvertrauen kann.«
»Ein bisschen spät für einen freundlichen Besuch, oder?« Vesna zog den Umhang mit Fuchsfellbesatz enger um sich und erschauderte leicht. Die Kälte stach in seinem Gesicht, und als er sich die Wangen mit der Innenseite seiner Handschuhe rieb, wurde es nur noch unangenehmer.
Mihn zuckte die Achseln. »Sie wird sich nicht beschweren. Es
ist ihre Lebensaufgabe, für andere da zu sein, wenn sie Hilfe brauchen.« Er lenkte sein Pferd in die entsprechende Richtung.
Als er an Vesna vorbeiritt, erkannte dieser eine ungewohnte Verunsicherung im Gesicht des Mannes und erinnerte sich daran, dass der gescheiterte Harlekin seit seiner Verbannung aus dem Stamm allein gewesen war. Es würde ihm gewiss schwerfallen, von anderen einen Rat anzunehmen.
»Danke, dass Ihr mich hergebracht habt. Ich … ich habe den Palast seit meiner Rückkehr nicht verlassen. Ich denke … offenbar habe ich verlernt, Spaß zu haben.« Scham flackerte in Mihns Augen auf.
Vesna lächelte. »Darin bin ich hingegen sehr geübt, also wird es noch andere Gelegenheiten geben. Geh nur, aber beeil dich. Es mag ihre Lebensaufgabe sein, Hilfsbedürftigen beizustehen, trotzdem erscheint es mir besser, eine Frau wie Ehla nicht zu verärgern. Und es ist schon spät genug.«
Mihn lächelte matt und entfernte sich im Trab, so dass der Graf nun allein auf der Straße stand.
»Die Zeiten müssen wirklich schlecht sein«, murmelte Vesna. »Ein Mann mit meinem Ruf, der allein in der Kälte zu einem Bordell unterwegs ist. Wahrscheinlich sind die anderen bereits weitergezogen, und ich finde nur in Tods Gärten noch Gesellschaft.«
Er bog an der nächsten Kreuzung rechts ab und sah sich aus Gewohnheit nach Gefahren um. Abgesehen von den Lichtern der Akademie der Magie gab es nur wenige Lebenszeichen in der Stadt, die sich bereits in Erwartung des nahenden Winters verbarrikadiert hatte. Innerhalb der Mauern würde das Familienleben ganz normal weitergehen, aber als sein Blick auf einen der Türme der Stadtmauer fiel, wurde ihm Mihns Abwesenheit besonders deutlich bewusst.
Also ist es nicht nur für Lord Isak angenehm, den Mann um sich
zu haben, scherzte Vesna mit sich selbst und rang sich ein Lächeln ab.
Er ließ die Hamblewege hinter sich. In diesem ärmeren Viertel waren die Häuser seltsamerweise größer und beherbergten mehr als nur eine Familie. Die kantigen Flügel waren um einen Innenhof herumgebaut und boten im Winter Platz für Reisende, unter anderem für den Wagenzug, zu dem Isak gehört hatte. Das junge Weißauge hätte keinen Schlafplatz im Innern bekommen, vermutlich hatte man ihn im Stall untergebracht, fernab des Feuers, wo er sich darauf verlassen musste, dass ihm das Vieh genug Wärme spendete.
Das Klirren von Metall auf Stein schreckte ihn aus seinen Gedanken. Er riss den Kopf herum und suchte in den Schatten nach einer Bewegung.
Verdammt, dieser Ort ist für einen Hinterhalt so gut wie jeder andere geeignet. Er konnte immer noch niemanden entdecken, fasste die Armbrust aber fester und trieb sein Pferd zu einem zügigen Trab an.
Bilde ich mir das nur ein? Ich bin sicher, dass uns niemand vom Palast hierher gefolgt ist. Er wollte eben aufgeben und sich selbst auslachen, da schallte aus der gleichen Richtung wie zuvor das Scharren von Schritten. Vesna wartete nicht ab, bis er noch etwas hörte, sondern gab seinem Pferd die Sporen und beugte sich über den Hals, als das Tier in Galopp verfiel.
Die Straße bestand nur aus festgestampfter Erde, aber das schnelle Geräusch der Hufe darauf reichte trotzdem aus, um die Stille zu zerreißen. Hinter Vesna erklang ein Ruf. Er hatte Recht gehabt. Während er das Pferd weiter antrieb, hielt er vor sich Ausschau – wenn dies ein Hinterhalt war, so war er der Falle möglicherweise noch nicht entkommen, und auch, wenn er aus dem Ritt
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