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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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enttäuscht«, setzte Vesna nach, »und ich will über diesen Punkt gar nicht streiten, denn ich kenne eure Bräuche nicht. Aber ich würde sagen, dass die Strafe abgeleistet ist.« Er zog seinen Tabakbeutel hervor und stopfte sich eine Pfeife. »Es stimmt doch, dass du mich besiegen könntest, wenn du ein Schwert hättest?«
    Mihn schlug die Kapuze seines Mantels herunter und wandte seinem Kameraden das Gesicht zu. Im fahlen Mondlicht hatte es etwas Unwirkliches, die dunklen Augen verrieten nichts. »Es wäre knapper, als Ihr denkt. Ihr unterschätzt Eure Fähigkeiten.«
    »Aber du würdest bei einem Kampf mit mir erwarten zu gewinnen.«
    »Wenn mir das Pech keinen Strich durch die Rechnung macht, ja. Ihr seid vor allem ein Soldat, ich hingegen wurde zum klassischen Duellanten ausgebildet. Wenn es ein formelles Duell wäre, stünden meine Chancen besser.«
    »Und mit Eolis?«
    Mihn wandte sich ab und sah die leere Straße vor ihnen. »Zielt Ihr darauf ab, ob ich Lord Styrax töten könnte, um so Isaks Träume abzuwenden?«
    »Könntest du das?«
    »Könnte das überhaupt irgendjemand?«, wandte Mihn ein.
»Das kann man nicht wissen, bis es zu spät ist. Ich vermute, dass er bisher noch kein Duell verloren hat, denn so haben die Götter ihn erschaffen. Mit der Waffe eines Meuchelmörders hätte ich vermutlich bessere Chancen, und selbst dann ist es noch fraglich, ob ich nah genug herankäme.«
    »Ich vermute nicht.« Vesna hörte die Enttäuschung in seiner eigenen Stimme und erkannte, dass er auf Mihns erstaunliche Fähigkeiten als Lösung des Problems gehofft hatte.
    »Wie auch die Chancen stünden«, sagte Mihn mit fester Stimme, »ich werde dennoch nie mehr eine Klingenwaffe benutzen. Je länger ich darüber nachdenke, umso sicherer bin ich, dass es meine Pflicht ist, Isak selbst zu dienen. Mein Versagen entstammte dem Geist oder der Seele, nicht dem Körper – und so soll es auch nicht mein Körper sein, der die Buße herbeiführt.«
    Vesna entzündete ein Schwefelholz der Alchemisten und hielt es in seine Pfeife. Das flackernde Licht schien die Schatten um sie herum noch finsterer zu machen. Sie trabten eine Weile schweigend weiter. Während sie sich der Stadtmauer näherten, nahm die Zahl der Häuser an den Hamblewegen stetig ab.
    »Habe ich dir je erzählt, wie mein Vater starb?«, fragte Vesna mit einem Mal.
    »Nein.«
    Der Graf zog an der Pfeife und blies eine kleine Wolke Rauch aus, die sein Gesicht kurz verbarg. »Er starb in einem Duell, als ich ein junger Mann war, im Kampf gegen einen Ritter, der zwanzig Jahre jünger war als er. Es ging um die Ehre eines Vetters.«
    »Das erscheint mir ein unnötiger Tod zu sein.«
    »Die Ehre ist ein seltsames Ding. Manchmal verlangt sie etwas, das man lieber nicht tun würde.«
    »Wie groß war die Verletzung der Ehre des Vetters?«
    »Ach, nicht so schlimm, aber mein Vater war trotzdem der Meinung, dass der Junge wegen einer solchen Kleinigkeit nicht
zusammengetreten werden musste.« Er verzog das Gesicht. »Ein Tadel hätte nach allem, was ich gehört habe, ausgereicht.«
    »Hat kein Magistrat eingegriffen? Ich hatte den Eindruck, Euer zivilisiertes Reich pflegte eine Tradition des Rechts?«
    Vesna sah Mihn an. In der Dunkelheit vermochte er nicht zu entscheiden, ob seine Worte sanfter Spott gewesen waren, oder eine Verurteilung darstellten.
    »Leider«, fuhr Vesna schließlich fort, »leider haben auch Magistrate Söhne, zu denen sie stehen, was auch immer sie anstellen. Das ist weniger ein Fehler der Zivilisation, als vielmehr einer der Menschheit, denke ich.«
    »Also hat übermäßiger Stolz auf allen Seiten zum Tod Eures Vaters geführt«, sagte Mihn ernst. »Eine echte Schande.«
    »Das Merkwürdige war, dass mein Vater den wahrscheinlichen Ausgang des Duells kannte. Er war über fünfzig Jahre alt und – nie viel mehr als ein passabler Schwertkämpfer gewesen.«
    »Und doch hat er angeboten zu kämpfen? Wegen der Ehre.«
    »Der Junge gehörte zur Familie. Alles andere war für ihn unwichtig. Er pflegte zu sagen: ›Es gibt solche, die mit dir verwandt sind, aber niemals zu deiner Familie gehören, und solche aus einem anderen Stamm, die du mit Freuden deine Brüder nennst. Sieh niemals tatenlos zu, wenn jene, die du Familie nennst, angegriffen werden.‹«
    »Also konnte die Beleidigung nicht übergangen werden? Blaue Flecken verheilen in einigen Wochen, Tode dagegen eher selten.«
    »Jemand musste sich für die einsetzen, die es nicht selbst konnten,

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