Sturmauge
messingbeschlagenen Blasebalg erweckte sie die Kohle wieder zum Leben und entzündete mit einem Span vom Zunderhaufen die Lampe am Fuß der Wendeltreppe, die zum kleinen privaten Arbeitszimmer des Königs hinaufführte. Sie eilte zur Tür, besann sich jedoch gerade noch rechtzeitig, kam schlitternd zum Stehen und knickste rasch vor Königin Oterness. Die Königin entließ sie mit einem Lächeln und einer Geste und ließ sich in den Lehnstuhl vor dem Feuer sinken, wo sie eine Decke über ihre Beine legte.
Jorinn riss die Tür auf und quiekte erschrocken auf, als der König hereingestürmt kam. Die Zofe konnte gerade noch verhindern, dass sie überrannt wurde. Sie blickte in sein Gesicht und beschloss, nicht darauf zu warten, dass man ihr erlaubte, sich zu entfernen. Sie floh vielmehr hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
Oterness versuchte den Gesichtsausdruck ihres Gatten zu erkennen, doch sein Hut war zum Schutz vor dem Regen noch immer tief ins Gesicht gezogen. Triefend blieb er mit einem Mal mitten im Raum stehen. Er schwieg noch immer.
»Bei den Göttern der Dämmerung!«, rief Oterness. »Emin, was ist geschehen?«
Der König schien Oterness kaum zu bemerken. Seine Augen blieben auf den Boden vor ihren Füßen gerichtet, als könne er ihr nicht in die Augen schauen. Sie schlug die Decke beiseite, denn sein Verhalten machte ihr Angst, und richtete sich schwerfällig auf. Emin zuckte zusammen und wich zurück, als Oterness seine Hand ergreifen wollte. Als sie ihre Finger dann um die seinen schloss, fühlte er sich eiskalt an und zitterte.
»Ich habe … ich hab…« Die Worte kamen ungelenk und abgehackt heraus, gänzlich anders als sonst, und allein die Anstrengung, diese vier Worte hervorzubringen, schien ihn ausgelaugt zu haben.
»Emin, komm, setz dich ans Feuer«, sagte Oterness und zog ihn zum Lehnstuhl. »Du bist ja durchgefroren bis auf die Knochen.«
Emin setzte sich zwar nicht, umklammerte aber ihre Finger und starrte einige Augenblicke lang in die Flammen, bis ein plötzlicher Schauder ihn erfasste.
»Du machst mir Angst, was ist denn nur geschehen? Man hörte in der Stadt schreckliche Gerüchte …«
»Sie sind wahr«, unterbrach er sie schroff. »Sie sind alle wahr.« Mit einem Seufzen sank Emin vor dem Feuer auf die Knie und ließ die Hand seiner Frau los.
»Alle?«, keuchte Oterness. »Scree … gibt es nicht mehr? Die Götter haben die ganze Stadt zur Strafe vernichtet? Opess Antern berichtete mir, jeder Priester in Narkang habe sich seltsam verhalten und sogar die Gemäßigten predigten, die Zeit der Bestrafung sei gekommen.«
»Die Götter waren an Screes Fall nicht beteiligt«, flüsterte Emin mit leiser, zaghafter Stimme, als könne er kaum glauben, was er da sagte. »Sie kamen zu spät, um irgendjemandem zu helfen; zu spät auch, um zu strafen. Aber das hat ihre Rachsucht nicht gemindert.«
Er atmetete tief durch, als müsse er seine Kraft zusammennehmen, um über die schrecklichen Ereignisse sprechen zu können. »Nachdem Scree in einer Feuersbrunst zugrunde ging, nahmen wir uns einen Tag Zeit, um uns von den Kämpfen zu erholen und die Verwundeten zu versorgen. Die Leute waren ja verrückt geworden. Beinahe die gesamte Bevölkerung war zu blutrünstigen Bestien geworden. Es geschah genau wie in Disteltal – du weißt
schon, das Tal, in dem die Überlebenden jede Spur des Dorfes tilgten? Aber das nun in einer ganzen Stadt.«
Er beachtete ihr entsetztes Keuchen nicht und sprach weiter: »Am nächsten Tag führte Lord Isak seine Truppen zu einem neuen Lager im Norden der Stadt und ließ die Geweihten, seine Verbündeten aus der vorangegangenen Nacht, zurück. Sie hatten das Tempelviertel gegen die Meute verteidigt, eine närrische Tat, die sie nur überlebten, weil er die Götter zu Hilfe rief. Der Junge hat die Schnitter irgendwie beschworen, und sie mordeten mit tödlichen Krallen jeden, der ihnen in den Weg kam.
»Danach lehnte es Isak sogar ab, Boten der Geweihten zu empfangen. Sie hatten all ihre hochrangigen Offiziere verloren. Der Befehlshabende, Ortof-Greyl hieß er, glaube ich, war ein Oberst und der einzige überlebende Befehlshaber. Er schien der Aufgabe nicht gewachsen, kam mir vor wie ein Junge, der in Vaters Boot aufs Meer hinausgetrieben wurde. Vermutlich erwartete er, dass die Farlan ihm Befehle übermittelten, aber das geschah nicht. Wir warteten einen ganzen Tag dort, im nicht enden wollenden Regen, bis weit in die Nacht, und taten nichts und sprachen auch
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