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Sturmauge

Sturmauge

Titel: Sturmauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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nicht. Niemand dachte daran, Wachen aufzustellen, zu beten oder auch nur zu kochen.«
    Emin hob die Hand und drückte die langen Finger auf die Stirn, als wolle er etwas aus seinen Erinnerungen herauspressen. Oterness kniete sich vorsichtig neben ihn und zog seine Hände beiseite, umfasste sie.
    »Sprich weiter«, sagte sie sanft, da sie wusste, dass er seine Geschichte beenden musste.
    »In der Dämmerung wurde ich von schrecklich pochenden Kopfschmerzen geweckt, als habe mir Coran eins mit der Keule übergezogen. Auch der Oberst spürte sie und selbst die niederen Offiziersränge waren davon betroffen. Die Heiler waren mit all den Schwerverletzten beschäftigt, und meine Magier waren noch
von den Mühen besinnungslos, die es sie gekostet hatte, uns aus der Stadt zu bekommen. Die Schmerzen waren schlimmer als jede Wunde, die ich je erlitten habe … aber erst als im Hirn eines der Kaplane der Geweihten etwas aufplatzte, erkannten wir …«
    »Was war es?«, fragte Oterness atemlos.
    »Hirnschlag«, sagte Emin und umklammerte wieder seinen Kopf. »Eine Wut, wie ich sie nie zuvor gespürt habe, ein Hass erfüllte mich und verzehrte mich.« Er hob den Kopf und sah sie mit einem flehenden Blick an, wie sie ihn in den zwei Jahrzehnten ihrer Ehe niemals bei ihm gesehen hatte. »Es steigerte sich den ganzen Tag über und … o ihr Götter !« Er schwieg kurz, und als er dann weitersprach, lag Verbitterung in seiner Stimme. »Meine Männer hielten mich nicht davon ab. Sie konnten mich nicht davon abhalten.«
    »Wovon abhalten?«
    »Die Flüchtlinge«, flüsterte er. »Es gab Tausende, die nicht dem Wahn verfallen waren, in einem Lager auf der anderen Seite der Stadt. Sie wurden nur von einer Handvoll Stadtmilizen beschützt. Die Offiziere der Geweihten sind allesamt geweihte Priester, so schreibt es ihr Orden vor, und ich – ich Narr – bin es ebenfalls. Wir spürten die Wut der Götter durch unsere Adern fließen und konnten sie nicht bremsen. Wir zögerten nicht einmal.«
    »O Emin, was hast du getan?« Oterness konnte das Entsetzen in ihrer Stimme nicht verhehlen, dennoch zog sie ihren Ehemann an sich, und er sank schluchzend in ihre Arme.
    »Wir töteten sie! Wir brachten sie alle um. Und die Götter, die Schnitter und andere, sie begleiteten uns, unbeschreiblich wütend. Die Flüchtlinge waren unschuldig, die Miliz bestand nur aus ängstlichen Narren, aufrechten Männern, die im Angesicht des grausamen Schicksals die Schutzlosen nicht im Stich lassen wollten. Wir ließen keinen am Leben. Ich höre ihre Schreie
noch immer – jede Nacht höre ich sie, und ich rieche ihr Blut an mir.«
    »Wir ließen die Toten für die Aasfresser liegen und gingen einfach davon. An … an die nächsten Tage erinnere ich mich kaum. Das Land um Scree herum war so tot wie die Stadt selbst. Wir sahen den Rauch der letzten Feuer aufsteigen, während wir zum Tempel Tods gingen, wo Lord Isak seinen verzweifelten Verteidigungsposten bezogen hatte. Aber der Gestank vertrieb uns von dort. Der ganze Tempelplatz war voller Leichen, die meisten unbewaffnet und so armselig wie jene, die ich tags zuvor erschlagen hatte. Und, mögen die Götter mir helfen, ich betete mit den Offizieren der Geweihten inmitten der Toten und fühlte mich selig  … sogar im Recht. Ich erkannte den Schrecken meiner Taten nicht, spürte nur die Genugtuung, dass der erste Schritt getan war.«
    »Der erste Schritt?«, fragte sie und versuchte ihre Angst zu verbergen.
    »Der erste Schritt zu einem reinen Land.« Es lag nun Schmerz in seinen Worten, und er drückte seine königliche Braut fester an sich, wie ein verängstigtes Kind. »All die Jahre bekämpfte ich die Eiferer, und jetzt bin ich sogar der Schlimmste von ihnen.«
    »Das ist nicht wahr«, sagte Oterness. »Du bist nicht wie sie. Du bist kein Feigling, der heilige Worte zu seinem eigenen Vorteil ausdeutet, der den Sinn der Schriften verdreht, um sie als Werkzeuge nutzen zu können. Der König dieses Reiches ist kein solcher Mann. Der Vater meines Kindes ist kein solcher Mann.«
    »Mein Kind«, keuchte Emin, und ein Lebensfunke glomm plötzlich in seinen Augen auf, als er sich wieder auf die Knie kämpfte. »Wie geht es unserem Kind? Ist euch beiden wohl?«
    Oterness drückte ihn erneut. »Es geht uns gut, Emin, wir sind stark und gesund.«
    Ehrfürchtig streichelte er ihren Bauch und riss die Augen auf, als er verwundert sah, wie groß dieser mittlerweile geworden
war. »Oh, mein Kind, wie wird dieses neue

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