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Sturmbote

Sturmbote

Titel: Sturmbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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starrten erschöpft auf die fast leeren Straßen hinaus. Am Tag zuvor hatte eine Verkäuferin ihren Nachbarn mit einem Schlachtermesser angegriffen. Mayel hatte keinen Grund dafür finden können.
    Jetzt kam das einzige Geräusch von einem Anschlag, der sich in einem seltenen Luftzug halb gelöst hatte und auf dem der Name des ehemaligen Theaterstücks stand. Heute spielte man zwar eine Komödie, die »Das Maultier des Königs« hieß, aber dieser eine Anschlag für die bittere Tragödie »Die Wehklage der Federn« war übrig geblieben.
    »Ich verstehe einfach nicht, wie es diese verdammten Blumen schaffen, am Leben zu bleiben«, sagte Mayel mit rauer Stimme.
    »Blu’m?«, fragte Shandek und seine Stimme war von der Mattigkeit des Tages und dem Alkohol ganz schleppend geworden. Sein Kopf sackte zur Seite, als er Mayel mit glasigem Blick ansah – und so wirkte er beinahe wie ein lebender Toter.
    Mayel winkte mit dem Finger zum Theater hinüber. An den Wänden hing langes Bilsenkraut, dessen dunkle, reißzahnähnliche Blätter im Licht der Fackeln auf der Mauer bösartig funkelten. Binnen weniger Tage, nachdem man es aufgehängt hatte, waren Knospen erschienen und hatten sich in glockenförmig gelbe Blüten verwandelt. Trotz der Hitze und ganz ohne Wasser
oder Erde gediehen die Pflanzen prächtig. Tagsüber schwirrten unzählige Bienen um sie herum.
    »Diese verdammt prächtigen Dinger. Die Ernte verdorrt auf dem Feld, wie können die also so gedeihen?«
    »Was weißt du schon von Blumen?«
    »Nicht viel«, gab Mayel zu.
    »Dann halt die Klappe. Schau, die Akrobaten kommen raus.« Shandek wies auf die Tore des Theaters, die sich öffneten und sechs bunt gekleideten Gestalten den Weg frei gaben. Drei waren die Albinos, die Shandek und Mayel bereits kannten. Sie waren noch immer barfuß, trugen jetzt aber Mäntel aus langen bunten Stoffstreifen. Zwei der anderen waren Männer, der eine dürr und drahtig, mit rautenförmigen Hautbildern auf den Armen und einer blutigen Träne im Gesicht, offenbar eine Verspottung des Kostüms der Harlekine. Er war in Schwarz gekleidet, was bei einem echten Harlekin niemals der Fall wäre. Der andere war ein bleicher Kerl, der eher an einen Bettler als an einen Schauspieler erinnerte. Sein Haar schien verfilzt und dreckig, die Züge eingefallen, die Haut unrein, als habe er seit Monaten nicht richtig geschlafen. Der Mann war ganz sicher kein Akrobat, aber er hielt eine Flöte in den Händen, mit der er das Herumturnen untermalte.
    Die Sechste im Bunde war einer der Gründe, warum Mayel und Shandek überhaupt hier waren. Eine Frau mit langem rostrotem Haar, die ihre Kameraden um einige Fingerbreit überragte und das Zentrum der kleinen Truppe bildete. Jeder ihrer Schritte wirkte sinnlich und elegant. Sie bewegt sich zu grazil, um eine reine Menschenfrau zu sein , dachte Mayel. Wenn die Frau tanzte, konnte man den schnellen Bewegungen ihrer Hände und Füße kaum folgen, aber es waren ihre Genauigkeit und ihr Geschick, die seinen Atem stocken ließen.
    »Unser Freund ist wieder da«, sagte Shandek und mit einem Nicken wies er zum Theater hinüber. Auf dem Dach des zwei
Stockwerke hohen Gebäudes, vor den dunklen Wolken beinahe unsichtbar, erkannte Mayel mit Mühe eine Gestalt. Kurz glühte eine Zigarre auf.
    »Der gleiche?«
    »Ja, darauf würde ich wetten. Heißt Ilumene«, sagte er, »und den Namen vergesse ich so schnell nicht wieder. Ich habe eine Menge Rüpel auf der Straße getroffen und mit dem da würde ich mich nicht anlegen.« Shandek wies zum Dach hinüber und verzog das Gesicht. »Selbst wenn er keine Armbrust bei sich hätte.«
    »Warum steht er wohl da?«
    »Sie erwarten Ärger«, sagte Shandek. »Man muss ja nur die Straße entlanggehen, um zu merken, wie angespannt die Leute sind. Ich weiß nicht, was hier passiert, aber es liegt was in der Luft, und das ist nicht nur der Sturm.«
    »Wie meinst du das?«
    »Bist du in letzter Zeit im Tempel gewesen?«
    »Wohl kaum«, sagte Mayel geringschätzig. »Es reicht mir schon, dass der Abt darauf besteht, dass ich die Andacht abhalte, wenn ich im Haus bin, da muss ich nicht noch Zeit im Tempel verschwenden.«
    »Tja, wenn du hingegangen wärst, hättest du gesehen, dass du mit dieser Meinung nicht allein stehst. Um diese Jahreszeit sollte der Tempel von Belarannar fast voll sein, aber er ist beinahe leer.« Er wollte sich einen weiteren Schluck einschenken, aber der Krug war leer. Er schaute hoffnungsvoll in die Öffnung des

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