Sturmbote
nicht einmal sicher, ob die rundgesichtige Frau aus der Brache überhaupt bemerkte, dass Leute an ihr vorbeigingen. Haipar starrte gedankenverloren und mit einem leeren Gesichtsausdruck auf das Tor.
Der Geruch von den Essensständen nach verbranntem Fett, Tamarinde und Honig umhüllte sie mit einem Mal. Zhia lief bei dem Duft von Fleisch, das mit Honig gesüßt war, das Wasser im
Munde zusammen. Aber sie hatte nur Augen für Haipar. Die Brise weckte Haipar, als habe sie jemand geschüttelt. Erschrocken blickte sie sich um, das Gesicht fragend, dann erst ging sie endlich auf den Eingang des Theaters zu. Nach einigen Schritten wurde sie langsamer, weil Zhia ihr nicht folgte.
Zhia blickte zum Dach des Theaters, über dem die Wolken vorbeizogen. Ihre Fingerspitzen prickelten auf eine seltsame Art, die sie nicht einordnen konnte. Irgendwie vertraut, aber gleichzeitig ausgesprochen fremdartig – das allein war für eine Unsterbliche schon eine seltene Sache. Die widersprüchlichen Eindrücke verwirrten Zhia.
Irgendetwas entgeht mir hier, aber was ist es? Ich spürte, dass dieses Gebäude von Magie umgeben ist, aber ich weiß nicht zu ergründen, welcher Art sie ist. Sie blieb stehen, denn plötzlich konnte sie im Dunkel der Nacht ein Gesicht auf dem Dach des Theaters ausmachen, das auf sie hinabsah und über all das lächelte, das unten vor sich ging. Sie konnte nur das Gesicht, das Glühen einer Zigarrenspitze und die Umrisse von etwas ausmachen, das nach einer Armbrust aussah. Wer bist du und wofür brauchst du diese Armbrust? Auf diesem Platz wimmelt es von Soldaten, also dienst du wohl kaum der Sicherheit. Als habe sie der gargylenähnlichen Gestalt diese Frage laut gestellt, verschwand sie plötzlich. Nur ein Rauchfaden blieb zurück, der bald verging.
»Vielleicht sollte ich etwas offensichtlicher hier herumschnüffeln«, sagte sie laut.
»Was hoffst du zu finden?«, fragte Haipar, während sie wieder an Zhias Seite trat.
»Antworten, meine Liebe.« Bevor sie weitersprechen konnte, räusperte sich jemand leise hinter ihr.
»Dein Haustier ist wieder da«, sagte Haipar ätzend. »Und diesmal hat es Bänder im Haar.«
Zhia drehte sich um und strahlte die Männer an, die vor ihr standen. König Emin befand sich in der Mitte und trug einen prächtigen breitkrempigen Hut, durch den sein Gesicht im Schatten lag. An seiner Seite stand Doranei, der deutlich weniger entspannt wirkte als sein König und ein formelles Wams mit hohem Kragen trug. Er blickte zu Boden und hatte die Lippen geschürzt, unfähig – oder unwillig – ihr Lächeln zu erwidern.
Zhia senkte den Kopf. Hier herrschte der Weiße Zirkel, und das war das Höchstmaß an Respekt, das ein Mann erhalten würde. »Es ist eine Freude, Euch wiederzusehen, Herr«, sagte sie und vermied damit, in aller Öffentlichkeit seinen Titel zu verwenden.
Emin zog den Hut und verneigte sich tief. Er lächelte. »Edle Dame, es ehrt mich, dass Ihr Euch an mich, Euren bescheidenen Diener, erinnert.«
Zhia erwiderte das Lächeln. Es überraschte sie nicht, dass König Emin genau wusste, wie er sich zu verhalten hatte. Und doch gefiel es ihr. Wenn sie die Zeit fände, sich im geistigen Wettstreit mit ihm zu messen, würde er sie wohl nicht enttäuschen.
»Und Doranei, wie hübsch Ihr ausseht!«
Der Mann des Königs blickte finster drein und musterte weiterhin die Pflastersteine zu seinen Füßen.
Zhia sah sich die übrigen Männer an, sechs Mitglieder der Bruderschaft, die allesamt ein schwarzes Wams und hohe Reiterstiefel trugen. Das war ganz sicher seine Leibwache. Der König wirkte eher wie ein erfolgreicher Händler. Da er keine Vorlieben in Sachen Mode hegte, konnte er in der Menge verschwinden.
»Aber was ist denn mit Eurem ständigen Begleiter?«, fragte Zhia. »Habt Ihr ihn zurückgelassen?« Es gab einige Weißaugen in der Stadt, die meisten waren Teil der dritten Armee und verstärkten die Fysthrall-Truppen, damit diese besser als die Soldaten waren, die Zhias Befehl unterstanden. Coran wäre also nicht weiter aufgefallen. Es überraschte sie, dass er abwesend war –
und es verärgerte sie auch etwas. Es gab all diese Geschichten darüber, dass die beiden ihren Geist oder ihre Seelen in einem obskuren Ritual verbunden hatten und sie hatte bisher noch keine Gelegenheit gehabt, sie zusammen zu beobachten.
»Die Lage ist angespannt«, antwortete Emin, »und er ist recht leicht reizbar, vor allem bei so ungastlichem Wetter.«
»Sagt ihm, dass ich es ihm
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