Sturmbote
nach einigen Augenblicken. Er balancierte den Dolch auf der Fingerspitze.
»Ignas Beyn ist einer der wenigen, die die Augen nicht vor den Fehlern des Königs verschließen. Er ist seinem Herren treu, aber er ist kein Narr.«
»Dann soll Ignas Beyn unsere zweite Partei sein. Aber wenn er auch durch Dunkelheit und Feuer schreitet, ihm soll kein Leid geschehen.« Rojak sprach so langsam, als wirke er einen Zauber. Der Barde war nicht im eigentlichen Sinne ein Magier, aber er gebot über große Macht, besaß ein Verständnis der Magie, das so umfassend war, dass es eine eigene Macht darstellte. Dohle, selbst ein durchaus begabter Magier, vermutete, dass dies der Art einer Hexe ähnelte, die die grausamen Möglichkeiten des Landes selbst erntete. Es war eine gnadenlose Gabe und hatte schwere Auswirkungen. Dohle zog es vor, Magie zu verwenden, die er beherrschen konnte, und sich nicht zwischen zwei Berge zu stellen und zu hoffen, dass er nicht zerquetscht wurde, wenn er ihnen befahl, sich zu bewegen.
Und beide opfern andere, um zu überleben, dachte Dohle grimmig. Und um Azaers Stärke gewahr zu werden, eine Stärke, die aus der Schwäche geboren ist. Wer hätte ahnen können, dass der Schatten so viel Macht daraus ziehen würde, seine Schwäche anzunehmen? Er steht zwischen Dunkelheit und Licht und befehligt auf diese Weise beides. Wenn die Stärke eines Mannes gegen ihn gerichtet wird, wie kann er sich dann wohl verteidigen – und was sind die Götter anderes als Gestalt gewordene Macht?
»Ich nehme an, dass Ilumene dich für den Zauber begleiten muss?«, fragte Rojak Dohle. »Nun, dann seid ihr beide zum Mittag in der Taverne ›Zum verlorenen Sporn‹, wo ihr einen Fremden vorfinden werdet, einen Menin.«
»Kennst du seinen Namen?«, fragte Dohle. »Heutzutage sieht manch einer in der Stadt wie ein Menin aus. Woher soll ich aber wissen, welcher der richtige ist?«
»Er wird ebenfalls jemanden suchen«, antwortete Rojak. Sein Blick ging ins Leere und seine Finger spielten mit den Saiten seiner Leier. »Sein Name ist Mikiss, Koden Mikiss.«
Dohle hörte aus der Dunkelheit unter ihnen ein scharfes Fauchen.
Die anderen hatten es ebenfalls gehört. Ilumenes freie Hand glitt sofort zu seinem Schwert und auf Rojaks Gesicht erschien ein kaltes Lächeln. Das Geräusch war aus der Gasse hervorgeklungen, so leise, dass es nur in der Stille der Nacht zu hören gewesen war. Dohle erkannte es sofort: Einer der vier Wachhunde, Waldgeister, die das Edle Volk genannt wurden, und die Rojak in seine Dienste gezwungen hatte. Jetzt hielten die Geister Wache – und das Geräusch bedeutete, dass jemand ihren neuen Herrn bespitzelte.
»O Prinzessin«, sagte Rojak beinahe entschuldigend. »Wir haben Euch gewarnt, dass Ihr Eure Nase nicht in unsere Angelegenheiten stecken sollt.«
Dohle blickte zu Ilumene, der ebenso verwirrt schien wie er. Aber bevor einer der beiden etwas sagen konnte, durchbrach ein Brüllen die Stille der dunklen Gasse. Bald darauf folgte das Scharren gezogener Schwerter. Als Dohle sich vorbeugte, um etwas zu erkennen, sah er schnelle Bewegungen, das Schimmern von Metall und eine knochenbleiche Maske.
Der Getreue schlug mit dem Messer hinter sich, traf zwar nicht, wollte sich aber auch wohl nicht umsehen, während er auf eine Wand zulief und davor zum Sprung ansetzte. Bevor er die Mauer erklimmen konnte, packte ihn eine bleiche Hand und riss ihn rückwärts von der Wand. Der Getreue rollte aus, sprang auf die Beine und schlug mit zwei Schwertern nach oben. Das eine verhakte sich in einer Holzleiter und er ließ die Waffe gleich fahren, um sofort auf den Ausgang der Gasse zuzustürzen. Einer der Wachhunde kam aus dem Schatten, trat dem Getreuen die Beine
unter dem Körper weg und verschwand wieder im Dunkeln. Der Mann krachte hart auf den Boden und brauchte einen Augenblick, bis er sich weit genug erholt hatte, um wieder auf die Füße zu kommen. Er hatte auch sein zweites Schwert verloren und griff gerade zu einem langen Dolch an seinem Gürtel, als sich ein muskulöser Arm in Dohles Blickfeld schob und den Getreuen mit sich riss.
Der Mann schrie und Dohle zuckte zusammen. Das folgende Fauchen erzählte eine eigene Geschichte und er konnte nicht anders, musste sich lange, scharfe Zähne vorstellen, die den Getreuen in Stücke rissen. Doch irgendwie schaffte es der Getreue sich zu befreien und der Wachhund taumelte zurück. Auf seiner Brust klaffte ein tiefer, blutender Schnitt in Ledermantel und Fleisch.
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