Sturmbote
Oberst Bernstein. Er drehte sich um und lächelte sie an, wobei die seltsamen Augen, von denen sein Spitzname stammte, im Licht funkelten. »Kommt ihr
zwei nicht aus Dorin? Ich war im Sommer dort, nachdem der Schnee geschmolzen war. Ich habe nie in meinem Leben ein so fauliges Rattenloch gesehen.«
»Wir können nicht alle mit einem goldenen Löffel im Mund geboren werden, Oberst.«
Bernstein schnaubte. Es war ein alter Witz, der während der Reise wieder und wieder gemacht worden war. Mikiss war zu dem Schluss gelangt, dass sich alle Soldaten neckten und verspotteten und ihnen dafür jeder noch so absurde Anlass ausreichte. Wenn die Stimmung düster wurde, konnte man so immer auf etwas Narretei zurückgreifen, was eine willkommene Ablenkung von der Tatsache darstellte, dass Tods Hand beständig auf ihrer Schulter ruhte.
Bernstein war in eine Familie des Niederadels geboren worden, und darum warf man ihm vor, verzogen und genusssüchtig zu sein, Shart sprach zu viel und Keneg nicht genug. So war es nun mal, aber trotzdem wurden sie nicht müde, immer wieder die gleichen Scherze darüber zu machen. Doch als sie sich eines Nachts vor einem Trupp Soldaten versteckt hatten, war Mikiss über ihre idiotische Fröhlichkeit ganz froh gewesen.
Jetzt bedeutete der Oberst seinem kleinen Trupp zu halten, trat in den Schatten eines Hauses und ließ das Bündel auf den staubigen Boden fallen. Die anderen folgten seinem Beispiel und Mikiss stöhnte herzerweichend, als er sein Gepäck absetzte. Er war für eine Unterbrechung der Pein dankbar, auch wenn sie nur kurz andauerte.
»Also, Jungs«, sagte Bernstein und musterte die Passanten misstrauisch. »Nur weil das Ziel in Sicht ist, dürft ihr euch noch lange nicht ausruhen. Herr, Ihr wartet hier mit Shart und den Rucksäcken. Keneg und ich werden dem Wirt einige Namen nennen. Ich glaube nicht, dass es ein Problem geben wird, aber wir wollen kein Risiko eingehen und ich will verflucht sein,
wenn ich mit dieser Last vor der Stadtwache weglaufe, ohne dass es einen Grund gibt.« Er hatte schon am Anfang beschlossen, dass der ängstliche Heeresbote als Diener und nicht als Anführer der Truppe auftreten sollte. Damit hatte Bernstein, zumindest in der Öffentlichkeit, das Sagen und Mikiss war dies auch sehr angenehm.
Oberst Bernstein entnahm seinem Bündel die Säbel und legte die Gurte des Wehrgehänges über seine Schultern. Dann wickelte er das verblichene Leder von den Griffen und schob die Klingen in die Scheiden, ruckte noch einmal daran, damit er sie problemlos ziehen konnte. Anschließend strich er sein Wams glatt und rieb sich gedankenverloren über den Bauch. Er war ein Soldat und mochte es nicht, ohne Rüstung unterwegs zu sein, aber in dieser Hitze konnte man nicht einmal leichte Kette tragen. Sie alle drei überprüften ständig eine Rüstung, die sie nicht mehr trugen.
Keneg klopfte auf die Scheide seines Breitschwertes, eine große Waffe, die wie eine unheilige Mischung aus Axt und Schwert wirkte. Er nickte seinem Bruder zu und trat neben Oberst Bernstein.
»Wenn uns niemand erwartet, schicke ich Keneg hinaus und warte mit einem Bier auf Euch.«
Shart flüsterte eindringlich. »Sieh zu, dass es nicht so eine Katzenpisse ist wie in der letzten Schenke. Diese verdammten Westler und ihr schäbiges Bier. Das Zeug war praktisch Wasser.«
»Du trinkst, was man uns gibt«, sagte Bernstein mit gespielter Grimmigkeit. »Aber wenn du dann einige Herzschläge lang still bist, werde ich sehen, was ich tun kann.«
Die beiden gingen los, Keneg einen halben Schritt hinter dem Oberst. Er behielt die Straße beständig im Auge, um seiner Rolle als Leibwache gerecht zu werden. Dabei müsste ein Schläger hier schon bis zur Grenze des Wahnsinns mutig sein, um sich
mit Oberst Bernstein anzulegen. Der große Menin-Offizier hatte nichts Edles oder Nobles an sich. Sein wettergegerbtes Gesicht wies einige Narben auf, eine davon stammte offensichtlich von einem Schwertstreich, und der rasierte Kopf untermalte diesen Eindruck von Gewaltbereitschaft noch. Die feine Kleidung, in der Bernstein steckte, fiel nicht weiter ins Gewicht, wenn man erstmal die Größe der Säbel und seine harten Züge bemerkt hatte.
Mikiss blickte ihnen nach und erkannte erst dann, dass er ja nicht mehr stehen musste. Er ließ sich schwer auf seinen Rucksack sinken und seufzte. Für eine Weile sah er nur auf seine Füße, die ihm ohne die eleganten Reiterstiefel, die er sonst zu tragen pflegte, fremd vorkamen.
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