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Sturmbote

Sturmbote

Titel: Sturmbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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ergriffene Stille, die nach dem Ende des Liedes unter den Sängern herrschte, machte ihm das Herz schwer.

    »Nun, Kumpel«, sagte Morghien. »Hoch mit dir.« Er wies auf eine von dicken Schlingpflanzen bewachsene Wand aus Eichenholz.
    Mihn zog prüfend an einem Strang der Pflanze, der sein Gewicht zu halten schien. »Ich hoffe, dass sie es wirklich aus eigenen Kräften hier herausschafft«, flüsterte er. »Ich habe wenig Lust, ein Weißauge hier abseilen zu müssen.« Er sah sich noch einmal nach Dienern oder Wachen um und kletterte dann los. Es gab genug Griffe und binnen weniger Augenblicke war er am Fenster angekommen und schob das Messer zwischen die Läden, um den Riegel zu öffnen.
    Er blickte zu Morghien hinab, der im Schatten der Wand kaum sichtbar war, schob auf sein Nicken hin das Fenster auf und glitt über das Fensterbrett auf einen großen Teppich. Er sah sich um und erfasste den spärlich eingerichteten Raum. Es gab ein mit Schnitzereien verziertes Bett, dessen Pfosten wie Äste geformt waren und zu einem Blätterdach darüber führten. Und es gab eine große Truhe, die an einer Wand stand.
    Nur eine silberne Haarbürste auf der Truhe und eine Pferdepuppe, ein Kinderspielzeug am Fuß des Bettes, deuteten auf die Bewohnerin hin. Mihn trat zu dem Pferd, das alt und abgenutzt war. Xeliath behielt es wohl, weil sie im echten Leben nicht mehr reiten konnte, was für jeden Yeetatchen einen bitteren Verlust darstellen musste.
    Ein heiserer, angestrengter Laut erklang vom Bett her, als würde diese Stimme nur selten genutzt. Für Mihn hörte es sich ein wenig nach seinem Namen an, aber er war nicht sicher. Er trat näher heran, konnte aber immer noch nicht erkennen, wer da unter den dunklen Laken ruhte. Er schwieg, denn er wollte sich nicht verraten, falls er einen Fehler gemacht hatte und im falschen Zimmer gelandet war.
    Die Gestalt im Bett regte sich und ein sanftes Licht sickerte
über die Decke. Mihn hatte genug Zeit mit Isak verbracht, um zu erkennen, dass dies kein Lampenlicht war.
    »Xeliath?«, flüsterte er. Das Licht wurde heller und die Umrisse ihres Körpers zeichneten sich unter der Decke ab.
    »Du bist Mihn?«, krächzte sie und ihre Hand zuckte, während sie versuchte, sich aufzurichten. Er suchte in ihrer Stimme nach dem musischen Dialekt der Yeetatchen, aber sie klang eher wie eine schwache alte Frau und nicht wie ein Mädchen in den besten Jahren. Er wollte antworten, aber beim Anblick ihres vom magischen Licht offenbarten, zerstörten Gesichts blieben ihm die Worte im Hals stecken. Ihr kurz geschnittenes Haar erlaubte die freie Sicht auf ihre linke Seite und das versehrte Fleisch dort, die schwachen Muskeln, die gelegentlich darunter bebten. Es waren fast schon zuckende Krämpfe. Das Lid ihres linken Auges hing herab und verdeckte die kleine Pupille, wodurch das Weiß ihres rechten Auges umso verstörender wirkte.
    »Ich … ja, ich bin Mihn«, sagte er und erst als die Worte heraus waren, bemerkte er, dass er seine Muttersprache benutzt hatte – zum ersten Mal seit Jahren wieder laut. Er wiederholte die Worte auf Yeetatchen und ein Lächeln deutete sich in ihrem Gesicht an.
    »Er hat mir nicht gesagt, dass du so hübsch bist.«
    Mihn blickte halb beschämt, halb amüsiert zu Boden. »Das überrascht mich nicht.« Ein Brett vor der Tür knarrte und die Klinke bewegte sich. Mihn war mit zwei Schritten bei der Person, die hereinkam. Er schlug ihr den Ellenbogen ins Gesicht und als sie zusammensackte, sah er, dass es ein Junge war. Mihn fing ihn auf, bevor er zu Boden fallen konnte und ließ ihn vorsichtig sinken. Dann schloss er die Tür und verriegelte sie, um nicht noch einmal gestört zu werden.
    Xeliath stöhnte auf und versuchte sich aufzurichten, aber Mihn beachtete sie nicht und untersuchte den Diener. Er war
ohnmächtig, würde aber keinen Schaden zurückbehalten. Mihn wickelte ein kurzes Seil von seiner Taille ab und zog ein Stück Tuch von seinem Arm. Im Nu hatte er den Jungen gefesselt und geknebelt. Dann zog er das kleine Messer aus dem Gürtel des Jungen und schob ihn unters Bett.
    »Bist du jetzt fertig?«, fragte Xeliath.
    »Noch nicht ganz.« Er hievte die Kiste auf den Teppich und zog sie vor die Tür. So würde sie einen entschlossenen Mann zwar nicht abhalten, aber Mihn war einfallsreich. Er rammte das Messer und eine seiner eigenen Ersatzklingen unmittelbar vor der Kiste zwischen die Bodendielen, so dass sie festgeklemmt war. Das würde vielleicht nicht ewig halten,

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