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Sturmbote

Sturmbote

Titel: Sturmbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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»Kein Murren mehr? Dann wollen wir uns zu der Festlichkeit gesellen.«
     
    Das Anwesen lag auf einem kleinen Hügel, der den höchsten Punkt im Umland darstellte. Es befand sich am Südende des Stillen Waldes, der sich um die Insel zog. Eine steile Klippe machte es für Angreifer unmöglich, sich aus dem Osten zu nähern. Sogar für Mihn und Morghien war es – ohne Pferde oder eine zu versorgende Armee – schwer genug gewesen, hierher zu gelangen, und sie hatten sogar Hilfe von Xeliath, die ihnen das Land hatte beschreiben könnnen. Alle Yeetatchen, Adlige und einfaches Volk, wurden zu Waldläufern ausgebildet, deswegen waren ihre Beschreibungen besser gewesen, als Mihn gehofft hatte.
    Das Yeetatchen-Anwesen war nicht von Mauern, sondern von Erdgräben umgeben. Es gab nur wenig Stein, auch die in die Hügel eingelassenen Häuser waren aus Holz und bei einigen ragten sogar Bäume aus dem Dach.
    Das einzige Problem auf ihrem Weg durch die Gräben war das knöcheltiefe Wasser darin, das die Wachen bei jedem Schritt auf
sie aufmerksam zu machen drohte, obwohl sie beide sehr geschickt darin waren, sich lautlos zu bewegen.
    Am Ende des ersten langen, dunklen Grabens berührte Morghien seinen Gefährten am Arm und hielt ihn damit ab, sich auf die zehn Schritt offenen Geländes zu begeben, die sie zu ihrer nächsten Deckung führen sollten.
    »Ich habe eine bessere Idee«, flüsterte Morghien. Er sprach lautlos Worte, die Mihn nicht verstand und seufzte dann mit geschlossenen Augen, wobei er den Atem leise ausstieß. Ein dünner Nebelfaden glitt aus Morghiens geschürzten Lippen und bewegte sich sacht hin und her, als wolle er die Luft erkunden. Dann trat eine Gestalt aus Morghiens Körper hervor und blickte Mihn an, der erschrocken nach Luft schnappte und sich gegen den Rand des Grabens presste.
    Es war eine weibliche Gestalt, das konnte er anhand der nebligen Umrisse ihres Gesichtes und des langen, wallenden Haares erkennen, das sich an die Silhouette ihres Rückens schmiegte. Von der Taille abwärts war sie weniger deutlich ausgeformt. Trotzdem erschienen die Nebenfäden, die sie mit Morghien verbanden, beinahe fassbar. Mihn errötete, als er erkannte, dass die Frau gänzlich unbekleidet war, aber sie schien seine Scham nicht zu bemerken. Er erkannte sie jetzt: Seliasei, ein Askept Vasles, der erste und mächtigste von Morghiens Geistern.
    Seliasei mustere Mihn eine Weile mit ausdruckslosem Gesicht, dann trat sie vor und ging in die Hocke, um die Hand in das Wasser zu tauchen.
    »Vasle ist der Gott der Flüsse«, flüsterte Mihn vor sich hin. Er ahnte, was Morghien vorhatte. Diese Gräben sind untereinander verbunden , dachte er, und wenn alle Wasser führen, wird Seliasei in der Lage sein, uns sicher an den Wachen vorbeizuführen.
    Morghien hatte die Augen noch immer geschlossen, wie in
Trance. Mihn hoffte, dass er ihn wecken konnte, falls jemand käme.
    Zufrieden mit dem, was sie im Wasser gespürt hatte, erhob sich Seliasei und glitt vorwärts. Im Nebel erschien die Andeutung von Beinen, aber ihre Bewegungen waren zu elegant und überirdisch für einen Menschen.
    Als Seliasei aus dem Dunkel in das schwache Licht hinausglitt, löste sie sich auf, bis sie nur noch als Schemen in der Luft zu erahnen war. Die Wachen würden es vermutlich als Einbildung abtun, denn sie konnten wegen der Laternen ohnehin nicht sonderlich gut ins Dunkel spähen und hatten sicherlich schon den einen oder anderen Becher zu Meqaos Ehren gelehrt. Und selbst wenn dem nicht so gewesen sein sollte, sollten sie denn zu ihrem Kommandanten laufen und behaupten, einen Geist gesehen zu haben?
    Seliasei, dicht gefolgt von Morghien, glitt um den Erdwall herum und verließ sein Sichtfeld. Da erst riss sich Mihn zusammen und folgte ihnen, bis sie die Längsseite des Anwesens erreichten, von dem aus laut Xeliaths Beschreibung ihr Schlafzimmer leicht zu erreichen war.
    Weniger als hundert Schritt entfernt befand sich ein großer Zeltkreis, in dem die Bewohner Meqaos Tag feierten. Mihn hörte Stimmen, die geisterhaft und wunderschön durch die kühle Sommerluft klangen. Er schmunzelte, als er sich daran erinnerte, wie sehr er in seiner Kindheit die Feste geliebt hatte. Ohne es bewusst zu merken, bewegten sich seine Lippen und er sang stumm mit. Das Lied, das die Yeetatchen sangen, war eines der frühesten bekannten Lieder überhaupt, entstanden noch vor dem Großen Krieg, als Amavoq und ihre Aspekte beständig unter den Yeetatchen wandelten. Die

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