Sturmbote
Schemen wandern ließ, die sich in dunklen Ecken versteckten. Dann sah er zu dem vergitterten Fenster des Wachzimmers hin, in dem das Mädchen döste.
»Es ist vollbracht.«
»Erklärt Ihr es mir jetzt? Ich nehme an, dass es nicht nur Hochmut ist, der Euch Eure Absicht mit Hilfe der Prophezeiung verraten lässt?«
»Gefahr erkannt, Gefahr gebannt.«
Aracnan dachte darüber nach und legte dabei seinen knochigen, haarlosen Schädel in tiefe Falten – bis er endlich begriff. »Ah, ich verstehe. Da regt sich das versteckte Gesicht der Theorie der Verpflichtung, die Perversität der Magie. Um Großes zu erreichen, muss man erst die Saat der eigenen Zerstörung säen.«
»Das wäre etwas leichtsinnig«, sagte der Schatten. »Aber man muss dieser Saat die Möglichkeit eröffnen, zu entstehen. Jede Magie kann aufgehalten, jeder Zauber umgekehrt werden. Ohne dieses unbekannte Element lässt sich nichts erreichen, aber es mag möglich sein, das Unbekannte in eine bestimmte Richtung zu lenken.«
»Ihr habt das Mädchen darüber aufgeklärt, dass ihr Lord nur eine Figur in Eurem Spiel ist, damit Ihr seine Handlungen vorhersehen könnt?«
»Ganz genau. In diesem Augenblick sucht sie General Lahk, um ihm von der Gefahr zu berichten. Besser auf diese Weise, als
darauf zu warten, dass jemand eine Idee hat und es so dem Zufall zu überlassen.«
Aracnan machte eine fließende Bewegung, als hole er ein Fischernetz ein. »Nun, dann sollten wir sicherstellen, dass wir wissen, worüber General Lahk nachdenkt.«
Die Bewegung endete an einem Beutel, der an die Seite seiner schwarzen, verstärkten Lederrüstung genäht war. Er schob einen knochigen Finger hinein und lächelte, als die Macht für den Zauber seinen Arm entlangtanzte und sich mit einem Prickeln auf der Haut in die dunklen Wolken über sich ergoss.
Beinahe unmittelbar darauf erklang das erste wütende, viehische Heulen aus den Straßen unter ihm. Hunderte stimmten mit ein und vereinten sich zu einem ohrenbetäubenden Brüllen, zu dem sich noch das Donnern unzähliger Füße gesellte. Der Lärm übertönte die Warnrufe der Farlan-Wachen.
29
Rojak beobachtete die Szene, die sich vor seinen Augen abspielte, und ein Hauch von Zufriedenheit durchbrach den Schmerz in seinem Körper. Überall waren Tote verstreut. Männer, Frauen und Kinder lagen zu ordentlichen Bündeln zusammengekrümmt oder in beinahe komischen Haltungen. Andere waren nicht mehr als Fleischklumpen, von der Gewalt, die ihnen angetan worden war, unkenntlich gemacht. Er setzte sich auf den ramponierten Stuhl, den einer der Hunde herbeigeschafft hatte. Er war zwar nicht sonderlich bequem, aber er konnte sich kaum beschweren – er konnte kaum etwas tun, außer dort zu sitzen und die große Sterbeszene von Scree zu beobachten.
»Es ist vollbracht«, flüsterte er und wusste nicht, ob zu seinem Herrn oder nur so vor sich hin. Ich bin fertig , fügte er stumm hinzu. Azaers Schatten, die ihm in all den Jahren so nah gewesen waren, schienen in ihn eingedrungen zu sein, in seine Knochen und sein Fleisch. Während die Verderbnis in seinem Innern unkontrolliert wütete, verging seine Seele immer schneller und verband sich mit der körperlosen Essenz seines Meisters.
Noch nicht vollbracht, noch nicht ganz . Die gewisperte Antwort hallte geisterhaft von den zerstörten Gebäuden wider. Rojak konnte sich nicht bewegen, schon auf der Treppe hier hinauf hatten ihn seine Kräfte verlassen. Als sie hier angekommen waren,
war die Zerstörung noch frisch gewesen, hatte der Geruch von Misshandlungen und von der ungezügelten Energie in der Luft gelegen, die der Abt entfesselt hatte. Die Gebäude brannten oder waren zerschlagen und die Trümmer lagen auf den Straßen aus festgestampfter Erde verstreut.
»Es kann nicht mehr aufgehalten werden, nun ist es zu weit fortgeschritten«, sagte Rojak und rief damit seine Gedanken zur Ordnung. Sein Herr hatte ihm einiges von dem, was im Rest der Stadt vor sich ging, ins Ohr geflüstert und Rojak konnte den Widerhall dieser Zerstörung als eine vom Schmerz gemalte Karte auf seiner Haut spüren: heiße, brennende Feuer, die ganze Straßenzüge verzehrten und die feinen Nadeln der Kristallschädel, und dann Leute, von den Göttern berührt, die mit ihren Bewegungen eine Spur in sein Fleisch kratzten.
»Lord Isak wird Sechs Tempel bald erreichen und dort zusammen mit den Geweihten Stellung beziehen müssen.« Er rang nach Luft. Ein Kreischen irgendwo unter ihm war das Letzte, was
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