Sturmbote
Erdwall zog sich halbmondförmig um sie herum. Wachen säumten die Befestigung und die meisten Soldaten waren zu Regimentern zusammengelegt worden, die nur auf den Befehl des Generals warteten. Und doch bereiteten Dutzende der Männer Essen zu, ungeachtet der Gewalt, die bald losbrechen würde.
»Eine Nachricht an uns, die wir beobachten«, sagte eine Stimme hinter ihm. Er drehte sich nicht um, denn Schatten beobachtete man besser aus dem Augenwinkel.
»Ich glaube nicht, dass wir eine solche Nachricht zur Kenntnis nehmen müssen. Überlass das dem Vieh dort draußen.«
Ihre Stimmen waren sich seltsamerweise ähnlich. Mehr als einmal hatte sich Aracnan schon gefragt, ob das eine Bedeutung hatte.
»Ich ziehe es nichtsdestoweniger vor, weiter zu beobachten«, sagte der Schatten kichernd.
Unwillkürlich lief Aracnan ein Schauer über den Rücken. Das Lachen des Schattens war so voller Boshaftigkeit, dass es ihm auf eine Weise durch Mark und Bein ging, die Aracnan noch nie erlebt hatte. Zitternd hatte er im Antlitz zorniger Götter gestanden und lebte schon so viele Jahre, dass er aufgehört hatte zu zählen, und doch hatte ihn ein einfaches Geräusch so beunruhigt. Darum habe ich mich ihm angeschlossen , dachte Aracnan. Mein ganzes Leben war ich gezwungen, mich anzupassen, um zu überleben. Ich erkenne, wenn mir jemand überlegen ist und im Gegensatz dazu erkennt er an, dass ich keines seiner sterblichen Spielzeuge bin .
Er veränderte die Lage des Bogens und des Köchers auf seiner Schulter, bis sie bequemer saßen, und blickte dann in die dunklen Straßen der Stadt hinab. Im Süden beherrschte ein schreckliches orangefarbenes Leuchten den Himmel.
Den Bogen hatte er aus Koezh Vukotics Waffenkammer genommen. Er war ein Sinnbild für die methodische Arbeit des Vukotic-Handwerkers. Es war noch nicht an der Zeit, dass er sich einmischte – der Punkt, an dem die Ereignisse nicht mehr umzukehren waren, war noch nicht gekommen, auch wenn er sich spürbar näherte – aber ein gut platzierter Pfeil hatte etwas erfrischend Direktes und vielleicht musste er ja doch helfend eingreifen, damit sich alles so entwickelte, wie es sollte. Magie würde
keine Spur hinterlassen. Handwerkskunst hingegen konnte erkannt werden und zu übereilten Schlüssen führen. Aracnan hatte über die Jahrhunderte hinweg gelernt, dass ein wenig Irreführung meist der Mühe wert war.
Aracnan sah durch die wirbelnden Rußwolken hindurch die Zerstörung, die in den südlichen Vierteln bereits angerichtet worden war. Die Elendsviertel hatten am meisten abbekommen. Einige waren wegen der eng stehenden Holzhäuser bereits völlig heruntergebrannt – und das Inferno wuchs weiter. Es hatte die wahnsinnigen, geistlosen Massen nach Norden getrieben, und nun trieben sie sich an der Lichtgrenze der Farlanreihen im Innern der Stadt herum. Hätten sie die Soldaten dort entdeckt, sie hätten ohne einen Gedanken angegriffen, angetrieben von einem allumfassenden Zwang und ungeachtet der Tatsache, dass sie keine Waffen besaßen.
Sie taten ihm ein bisschen leid. Er genoss die Unvernunft nicht, die Rojak ihnen aufgezwungen hatte, aber sie waren doch nicht von seiner Art – und das Leben eines Unsterblichen wurde von Vernunft beherrscht. Wenn Azaer ihm verschaffen konnte, was er wollte, dann würde er die Befehle des Schattens auch befolgen. Keiner von beiden wäre so dumm, vom anderen Vertrauen zu verlangen. Er machte sich nicht einmal Sorgen, dass Azaer ihn benutzen könnte, um Isak an den richtigen Ort zu locken – so war das Leben eben. Im Augenblick musste Aracnan die herumirrenden Menschenmassen nur dorthin führen, wo sie gebraucht wurden. Zur Zeit hielt er sie mit einem einfachen Zauber von den Reihen der Farlan fern.
Aracnan war von der Magie, die Rojak gewirkt hatte, beeindruckt gewesen. Er hatte selten erlebt, dass so mächtige Magie von einem Sterblichen beherrscht wurde, geschweige denn, dass jemand eine solche Ergebenheit an den Tag legte. Nur wenige besaßen den nötigen Glauben, um ihre Seele an einen Zauber zu
binden, Rojak allerdings hatte es auf Befehl seines Herrn getan. Der Barde zerfiel rasch, aber Aracnan hatte den Verdacht, dass er sich heute Nacht nicht das letzte Mal beim Geruch von Pfirsichblüten umdrehen und das spöttische Lächeln des Mannes sehen würde. Der Tod mochte für Azaers treuesten Diener erst der Anfang sein.
»Habt Ihr die Nachricht überbracht?«, fragte er, während er seinen Blick langsam über die wabernden
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