Sturmbote
mir. Aber zuerst: Besorgt mir ein Pferd.«
10
Mayel legte die Hand auf die Tür und hielt inne. Im Halbdunkel der Kellertreppe konnte er nur den verrosteten Eisenring erkennen, mit dem die Tür geöffnet wurde. Er hielt den Atem an und hörte das unablässige Schlagen seines Herzens, während er angestrengt auf ein Geräusch aus dem Haus über ihm lauschte. Es war still, nur ein Klappern erklang, als der brausende Wind an den Fensterläden rüttelte. Plötzlich durchschnitt ein Brummen die Stille und Mayels Herz schlug ihm bis zum Hals.
Dann erkannte er das Geräusch und lächelte erleichtert. »Das ist nur der Wind, der durch das Schlüsselloch fährt«, murmelte er. »Idiot!«
Das Schloss der Küchentür war alt und kaputt, wie alles andere in diesem Haus auch, trotz der ehemaligen Pracht. Mayel konnte kaum glauben, dass jemand ein so schönes Haus so verkommen ließ. Die Feuchtigkeit war die Wände hinaufgekrochen und in die Bodendielen gezogen, bis sie aufgequollen und wie überreife Früchte aufgebrochen waren.
Die Gegend erklärte es vielleicht ein wenig, denn sie war ebenso wie das Haus in ihrer Mitte heruntergekommen, beinahe verlassen und bot nur verschlagenen Gestalten, die sich in dunklen Ecken herumdrückten, eine Heimat – um sich vor dem Licht und dem Regen gleichermaßen zu schützen. Nachdem sie der
Trostlosigkeit ihres Inselklosters entkommen waren, hatte sich Abt Doren sehr zu Mayels Missfallen ein gleichartiges Bauwerk in der Stadt gesucht. Dass der Abt auch noch einen guten Preis dafür gezahlt hatte, steigerte die Verärgerung des jungen Mannes zusätzlich.
Mayel hatte die Küche in Beschlag genommen und gründlich geputzt. Der Abt nutzte den Kellerraum für seine Studien. Den Rest des Hauses hatten sie abgesperrt und den Ratten überlassen. Der Abt arbeitete die Nacht durch, sprach mit sich selbst und rumorte herum, während Mayel in seinem improvisierten Bett in den Schlaf hinüberdämmerte. Wenn der alte Mann einmal schlief, dann meist in einem Stuhl im Schatten, vor der Nachmittagssonne geschützt. Doch sein Schlaf war alles andere als ruhig. In seinen Träumen jagten ihn grausame Gestalten, über die er nicht sprechen wollte … Sie verfolgten ihn auch in seinen wachen Stunden.
Abt Doren war nicht mehr jung, aber Mayel vermutete, dass er auch wieder nicht so alt war, wie er erschien, trotz des müden Ausdrucks in seinen Augen. Vielleicht hatten ihn die Träume vorzeitig altern lassen, vielleicht war es auch etwas anderes. Er war ein Magier, wie die meisten Hohepriester, und weder die Magie noch Vellern waren gnädige Herren. Zusammen würden sie einem Mann viel abverlangen.
Flackerndes Licht sickerte durch die Risse und umrahmte die Tür. Schließlich drehte Mayel den Eisenring und wartete. Erlösung oder Verdammung ?, fragte er sich und schob die Tür langsam auf. Als die Angeln kreischten, verzog er das Gesicht, schob dann seinen Kopf hinein und sah sich im Keller um.
Das Morgenlicht schien durch zwei schmutzige Fenster gegenüber der Tür. Der Keller lag unter dem Haupteingang des Hauses und die Fenster zeigten auf etwas, das einmal eine vielbenutzte Straße gewesen war. Die große Eichentür, die einst den
Eingang zum Haus dargestellt hatte, war lange Zeit schon verrottet und zusammengefallen. Schwarze Farbe löste sich wie lepröse Haut von ihrer Oberfläche.
Seltsamerweise war keines der Fenster zerbrochen oder gestohlen worden. Die Leute mieden das Haus, aber Mayel kannte den Grund dafür nicht. Shandek behauptete, es würde nicht spuken und schob es auf die Angst, die sich in dem Viertel ausbreitete, seit vor kurzem zunehmend mehr Leute auf unerklärliche Weise verschwanden. Er hatte Mayel damit nicht überzeugt, aber das verlassene Haus war noch immer beeindruckend, so dass es nicht verwunderlich war, wenn man es misstrauisch betrachtete. Er musste zugeben, dass die Leute an einem Ort, den sie fürchteten, nichts unterstellen würden, also hatte vermutlich Shandek selbst das Gerücht in die Welt gesetzt.
Mayel nahm die Lampe von der Wandhalterung und stieg über einen Sack voller seltsamer Pflanzen und Töpfe mit dunklem, zähflüssigem Inhalt, um sie auf einem zerkratzen Tisch in der Mitte des Raums abzustellen. Er bemerkte, dass die Lampen fast leer waren. Wenn der Abt zu früh von seinem Spaziergang zurückkehrte, konnte er behaupten, sie nachfüllen zu wollen. Mayel sah die schweren Folianten, die er selbst vom Kloster hergeschleppt hatte, zwischen den Stapeln
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