Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmbote

Sturmbote

Titel: Sturmbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
Vom Netzwerk:
öffnete sich eine tiefe Grube, in der ein lagerhausähnliches Gebäude errichtet worden war, dessen Dach auf einer Höhe mit der Straße lag. Darin waren die Geschäftsräume und der Garderobenbereich
des Theaters untergebracht. Mayel vermutete, dass sein sogenannter Freund dort gestorben war.
    Die niedrige Mauer, die dieses große Gebiet umgab, beherbergte Räume unter einem Flachdach in ihrem Innern. Sie wirkten im Vergleich zu der Fläche, die sie umringten, winzig, wie zu klein geratenes Kinderspielzeug. In Mayels Erinnerung war das Theater beeindruckender gewesen, selbst ohne die Holzpalisade, die jetzt die Höhe der Mauer vergrößerte.
    Als sie näher kamen, sahen sie Arbeiter und Gerüste hinter den Marktkarren, an denen wie üblich und unter Missachtung des Tumults gehandelt wurde.
    »Ja, ein weiteres Geschoss«, stimmte Shandek schließlich zu.
    Sie blieben an einem Schlachterstand stehen. Die Frau dahinter trug ein zu großes, ärmelloses, braunes Kleid mit tiefem Ausschnitt. Auf dem Stoff sah Mayel kleine rote Punkte getrockneten Blutes. Er starrte die Frau an, deren Blick leer und trüb über die Straße glitt. Ihre dünne Haut war über zu große Knochen gespannt. »Das Zeichen einer schlechten Angewohnheit«, murmelte er vor sich hin.
    »Hm? Oh, das.« Shandek schnaubte, aber Mayel konnte nicht ergründen, ob die Ursache dafür leichte Abscheu oder Verlegenheit war. Wer auch immer die Frau versorgte, gab Shandek vermutlich einen Teil ab. »Sie hat hart daran gearbeitet, sich langsam umzubringen. Vor sechs Wochen sind ihre Kinder in einem Feuer umgekommen und sie wird keine weiteren sechs erleben.«
    Hinter der Frau krachte etwas auf dem Gerüst und sie zuckte zusammen. Ängstlich blickte sie sich zu der Wand um, die sich wenige Fingerbreit hinter ihr befand, und hielt nach einer Gefahr Ausschau. Die Wand war glatt und unauffällig und doch starrte sie darauf und nicht auf das Fenster im neuen zweiten Stock.
    »Man erzählt sich, dass sie schon vor dem Feuer durchgedreht ist«, fuhr Shandek fort, »dass es ihre Schuld war. Es heißt, dass
sie vor Schatten erschrak und über Dämonen sprach, die hinter ihren Mädchen her seien. Sie setzte das Haus in Brand, um die Schatten abzuwehren – und jetzt hat sie kein Zuhause mehr. Sie schläft entweder im Tempel, wo die ganze Nacht über ein Feuer brennt oder sie geht schon vor dem Sonnenuntergang in eine Opiumhöhle. Ihr Mann wird irgendwo in der Nähe sein. Man kann sie nicht lang mit dem Stand alleinlassen.«
    Shandek schwieg und musterte die Frau eine Weile ernst, dann schob er Mayel in Richtung Haupteingang des Theaters. »Irgendwas geht vor in dieser Stadt, bei all diesen Geschichten über den schwarzen Mann und solche Leute, die vor Schatten weglaufen.«
    Mayel antwortete nicht, gab dem Drängen seines Vetters aber nach. Während sie gingen, behielt er die Frau so lange wie möglich im Blick. In ihrem Gesicht lag der Nachhall von etwas, das ihn erschaudern ließ. Für einen Augenblick glaubte er Schreie und das Prasseln von Flammen zu hören. Dann gingen sie um die Ecke und der Bann war gebrochen.
    Der Haupteingang stand offen und war frisch gestrichen worden. Als sie durch das offene Tor traten, musste Shandek ausweichen, um nicht gegen einen Mann zu stoßen, der an einem der Torflügel hockte und letzte Hand an ein kunstvolles Bild legte.
    Mayel blieb stehen und versuchte sich das fertige Bild vorzustellen, während Shandek sich entschuldigte, dass er den Maler am Fuß angestoßen hatte. Das Bild war nicht, was Mayel erwartet hatte, nicht die übliche Szene, die auf die Freuden hinwies, die im Innern warteten.
    »Der zerschmetterte Speer , Fünf Frauen der See  – sogar der Triumph der Götter wäre eine näherliegende Wahl gewesen als das hier«, murmelte Mayel.
    Vor Gewitterwolken in einem grauen Himmel zeigten sich die Überreste einer Schlacht in einer Senke. Im Hintergrund lag eine
große Burg mit fünf riesigen Türmen. Einer dieser Türme war eingestürzt und Flammen, so kunstvoll gemalt, dass sie auf Mayel echt wirkten, züngelten über die Burgwälle. Davor erhoben sich drohend verschiedene Formen der Schnitter, der gewalttätigen Aspekte Tods. Sie verkörperten die verschiedenen schrecklichen Arten, auf die ein Mann sterben konnte: das hagere Gesicht des Soldaten starrte auf die Erschlagenen zu seinen Füßen, während der Brennende hinter ihm wie ein Märtyrer mit ausgestreckten Armen auf einem Hügel stand. Der Große Wolf war nur eine

Weitere Kostenlose Bücher