Sturmbringerin
des nächsten Tages erreichten wir Loran. Die Soldaten ritten schnurstracks in die Burg und übergaben mich. Man sperrte mich in eine Zelle. Lange ließen sie mich allein, während ich mich fragte, was nun mit mir geschehen solle. Irgendwann fand ich einen losen Stein in der Mauer und zog ihn aus der Wand. Erst dann entdeckte ich, dass jemand in der Zelle neben mir war. Es war Kaj. Wir redeten viel. Seine Gesellschaft machte die ganze Situation für mich erträglicher.
Nach ein paar Tagen kam doch tatsächlich meine Schwester mit ihren Freunden, um mich zu befreien. Gianna sprengte meine und auch Kaj‘ Zellentür auf, tötete die meisten der Soldaten und schützte uns außerdem vor einem Pfeilhagel, der uns eigentlich hätte töten müssen. Ich weiß nach wie vor nicht, wie ihr das gelungen ist. Zersia wollte mir bislang nicht verraten, welche Gabe Gianna besitzt.«
Jira beendete seine Erzählung und warf Gianna einen interessierten Blick zu. Leandra tat es ihm gleich. In ihren Augen leuchtete eine unverhohlene Neugier.
»Warum seid ihr mit Zersia in den turontischen Stützpunkt eingedrungen?«, fragte sie Gianna.
Verwirrt musterte Gianna Leandra. »Um ihren Bruder zu befreien. Das haben die beiden doch gerade erzählt.«
Leandra lächelte nachsichtig. »Ich höre eine Geschichte gern von allen Seiten. Daher bitte ich euch, mir zu erzählen, wie es aus eurer Sicht dazu kam, dass ihr hier gelandet seid.«
Gianna seufzte. »Na schön, was willst du wissen?«
»Warum seid ihr in diese Festung eingedrungen? Was hat euch dazu gebracht, euch dieser Gefahr auszusetzen, obwohl ihr Zersia kaum ein paar Tage kanntet?«
»Sie hat mir das Leben gerettet.« Vans Blick ruhte auf Leandra. Er versuchte zu ergründen, auf was diese Fragerei abzielte. Fast kam er sich so vor als befänden sie sich in einem Verhör.
»Das war einer der Gründe, vielleicht auch der Hauptgrund«, erklärte Gianna.
»Dann gab es noch andere?«
Gianna nickte. »Durch meine Gespräche mit Zersia erfuhr ich einiges über meine eigene Situation. Dinge, die mir vorher nicht bewusst waren, ließen vieles in einem anderen Licht erscheinen als zuvor.«
»Was für Dinge?«
»Wir wussten nicht, dass Turont Begabte wie Trophäen sammelt und sie als Werkzeuge missbraucht. Erst durch Zersias Erzählung über Jiras Entführung erfuhren wir davon.«
»Wie könnt ihr das nicht gewusst haben? Jeder weiß das!«, platzte Jira dazwischen.
Van musste über seinen Eifer schmunzeln. »Genauso wie auch jeder weiß, wie Bären aussehen?«
Verwirrt schaute Leandra von einem zum anderen, aber Jira verstand den Seitenhieb und fragte nicht weiter.
»Dann war dies der Grund für eure Hilfe? Es erscheint mir nach wie vor nicht plausibel, wieso ihr deshalb ein solches Risiko hättet eingehen sollen. Immerhin war es selbst für Jase zu gefährlich ohne uns in Lorans Festung einzudringen. Und das obwohl er mehr als drei Begabte zur Verfügung hat.«
»Ich besitze keinerlei magische Begabung«, warf Van ein.
»Außerdem drohte uns zu keiner Zeit eine Gefahr. Zersia wollte es zunächst auch nicht glauben.« Gianna begegnete Leandras bohrenden Fragen zwar mit festem Blick, unterm Tisch verstärkte sie jedoch den Druck auf Vans Hand. Auch sie schien sich zu wundern, warum Leandra alles bis ins letzte Detail wissen wollte.
»Wie kannst du sagen, dass es ungefährlich war? Es war doch eine vollbesetzte Burg mit Hunderten gut ausgebildeter Soldaten und ihr wart nur zu dritt.«
»Es waren um die fünfhundert. Es drohte uns deshalb keine Gefahr, da ich alle Männer tötete, bevor sie uns hätten gefährlich werden können.«
»Ich hörte davon. Wie ist dir das gelungen und warum warst du dir dessen so sicher?«
Abermals seufzte Gianna. »Ich bin ein Elementar, der über das Wasser gebietet. Wir stammen von der Insel Lasca weit im Süden und halten uns erst seit wenigen Monaten auf dem Festland auf. Das ist auch der Grund, warum Kaj‘ Gestaltwechsel uns so überrascht hat. Wir haben bis dahin noch keinen Bären gesehen.«
Jira starrte Gianna mit offenem Mund an und war augenscheinlich sprachlos. Auch Leandra konnte ihre Verwunderung kaum verbergen.
»Du willst mir tatsächlich erzählen, du seist ein Wasserelementar?«
»Ja, das bin ich. Brauchst du auch eine Kostprobe?« Giannas Tonfall war locker, doch konnte sie Van damit über ihre innere Anspannung nicht hinwegtäuschen.
Leandra schüttelte den Kopf. »Nein, das wird nicht nötig sein.«
Leandras Berater
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