Sturmfahrt der Liebe: Er war der König der Meere - und sie die Herrscherin seines Herzens (German Edition)
nippte, und unwillkürlich wanderten seine Augen zu ihrem Ausschnitt.
In seiner Kajüte hatte er diesen wundervollen Hals liebkost. Er hatte sie verschlingen wollen, und an diesem Verlangen hatte sich seither nichts geändert. In seinem ganzen Leben hatte ihn noch keine Frau so sehr die Kontrolle verlieren lassen. Und wie es sich anfühlte, verlor er sie schon wieder.
Sie stellte ihr Glas ab und begann, ihre Geschichte zu erzählen – zögernd zunächst, doch bald schon war sie mittendrin. Alle Herren lauschten ihr gebannt, als sie die Geschehnisse schilderte – angefangen damit, dass Anna Adams in ihre Kabine kam, bis hin zu dem Moment, als Austin sie über die Reling der Aurora hob, die Hand auf ihrem Po.
Sie erzählte den Offizieren und Wittington alles, wohingegen sie ihm kein einziges Wort gesagt hatte.
Wittington erhob sein Glas. »Auf meine Retterin, die mutigste Frau, die ich kenne!«
Fröhliches Lachen folgte, und die anderen erhoben ebenfalls ihre Gläser.
Austin sah den Sohn des Marquess an. Er hatte sein zerzaustes blondes Haar gewaschen, gekämmt und zu einem Zopf gebunden. Selbst mit der Augenklappe würden ihn manche Frauen gutaussehend nennen. Jedenfalls schenkte Evangeline ihm ihre volle Aufmerksamkeit und sah ihn eindeutig bewundernd an. Ja, sie lächelte Wittington sogar wieder zu, wobei ihre grauen Augen blitzten.
»Aber jetzt haben wir Sie ja heil und sicher zurück.« Seward tätschelte ihre Hand. »Wir machten uns große Sorgen um Sie.«
Lord Rudolph lachte. »Sie sind verliebt, Lieutenant!«
Ein Mann am Tisch kicherte, worauf Austin ihn mit einem vernichtenden Blick bedachte, so dass er sein Lachen prompt in ein Hüsteln verwandelte.
»Sie erinnert mich an meine Schwester, Mylord«, sagte Seward.
»Ihre Schwester?« Lord Rudolph zwinkerte Evangeline zu.
»Ja. Sie starb, kurz bevor die Aurora Boston verließ.«
Lord Rudolph wurde sogleich sehr ernst. »Ach, ich bitte um Verzeihung. Das ist tragisch!«
Die anderen Gentlemen am Tisch bekundeten ihr Beileid, und Evangeline drückte ihm die Hand.
»Davon haben Sie nie gesprochen«, sagte Austin.
Alle Augen richteten sich staunend auf Seward. Er nippte an dem Port, um seine Verlegenheit zu überspielen.
»Sie hätten es mir erzählen sollen.«
»Das wollte ich nicht, Sir, weil ich fürchtete, dass Sie mir dann nicht zutrauen, meiner Pflicht nachzukommen.«
Evangeline warf Austin einen fragenden Blick zu – nein, nicht fragend, sondern vorwurfsvoll! War das zu fassen?
»Sie muss eine bezaubernde junge Dame gewesen sein, wenn sie Miss Clemens ähnelte.« Lord Rudolph hob wieder sein Glas und prostete Evangeline zu, die lächelte.
Austin stellte sich vor, wie er Lord Rudolph beim Kragen packte und ins Meer warf. Der Mann würde mit einem erfreulichen Klatscher im Wasser landen.
Nun erzählte Seward lang und breit von seiner Schwester. Evangeline strich ihm wiederholt über die Hand und blickte ihn voller Mitgefühl an. Die anderen hörten interessiert zu.
Jemand hatte die Kontrolle über diesen Tisch, diesen Raum, diese Unterhaltung – und das war nicht Austin.
Zwei Wochen lang segelte die Aurora gen Norden nach Amerika, genauer gesagt, nach Boston. Die Luft kühlte ab, es wurde regnerisch, und immer häufiger mussten Evangeline und Lord Rudolph sich auf ihre Kabinen oder die Offiziersmesse beschränken. Austin gestattete Evangeline, so oft an Deck zu gehen, wie sie wollte, bestand allerdings darauf, dass Seward oder der junge Albright sie begleiteten. Zu ihrer Sicherheit, wie er sagte.
Auch in Begleitung genoss sie es, am Bug zu stehen, in den Wind und die Wellen zu sehen und sich zu fragen, was geschehen würde. Austin hatte davon gesprochen, sie nach England zurückzuschicken, und sie musste sich überlegen, wie sie das verhinderte. Sie wollte etwas Neues beginnen, nicht in ihr altes Leben, zu ihrem alten Kummer zurück.
Was Austin betraf, so hatte er seit dem Essen am Abend ihrer Rückkehr kein Wort mehr mit ihr geredet. Häufig sah sie ihn an Deck, wie er seinen Männern Befehle erteilte, den Sextanten studierte oder in ein Buch schrieb, das einer der Matrosen ständig hinter ihm hertrug. Sie hatte er kaum eines Blickes gewürdigt.
Er sprach weder mit ihr noch mit Lord Rudolph. Vielmehr war er wieder genauso distanziert wie vor der Meuterei, als er seine Passagiere vollkommen ignoriert hatte.
Vielleicht war es besser so, sagte Evangeline sich, während die Tage verstrichen. Jedes Mal, wenn sie ihn sah, wurde
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