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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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sprintete zu den Felsen hinüber. Es konnte nur Louan sein. Gottverdammt, warum tat er das? Was war passiert?
    Stephen kämpfte inmitten der Wellen um sein Leben. Der Sog drohte ihn wieder und wieder gegen die scharfen Felsen zu werfen, Wunden übersäten seine Arme und seine Schultern. Plötzlich schoss etwas Helles aus der Tiefe hervor, gerade als sein Körper nach vorn geschleudert wurde. Die Zähne des Seehundes gruben sich in sein Fleisch, mit einem Ruck riss ihn das Tier zurück. Steine flogen, Stimmen kreischten. Alle waren außer Rand und Band.
    „Hört auf!“ Ich schnappte nach Pauls Arm. „Hört auf damit. Ihr trefft noch Stephen.“
    „Der frisst ihn auf!“, kreischte jemand. „Seht ihr das? Ist das Blut? Scheiße, Mann, Scheiße.“
    Louan schnappte erneut zu. Stephen wehrte sich aus Leibeskräften, zappelte und brüllte und behinderte damit seine eigene Rettung, weshalb der Seehund gezwungen war, seine Zähne einzusetzen, um ihn von den Felsen wegzuzerren. Ein Stein traf Louan an der Seite, ein zweiter prallte hart gegen seinen Kopf. Noch mehr Blut floss. Diesmal nicht das des Jungen.
    „Hört auf!“ Ich zerrte blindlings an allen Armen, Pullovern und Shirts, die zu greifen waren. „Hört endlich auf. Ihr macht es nur schlimmer.“
    Irgendwer stieß mich beiseite. Ich krachte schwer auf die Knie, ohne Schmerz zu fühlen.
    Stephen wurde unter Wasser gezogen, weg von den Felsen. Er verschwand in der Tiefe, während sich das Brüllen um mich herum in Gejammer verwandelte.
    „Da ist er!“, schrie plötzlich Paul. „Da hinten. Los, kommt.“
    Wie losgelöst rannten alle zurück zum Strand. Ich sah sie über die Felsen springen, Paul und drei Mädchen stürzten sich ins Wasser. Keine fünf Meter vom Ufer entfernt trieb Stephen kraftlos in den Wellen, das Gesicht zu einer Fratze der Angst verzerrt. Was, wenn er starb? Dieser Gedanke war zu erschreckend, um ihn weiter auszuführen.
    Schwankend tat ich einen Schritt nach dem anderen. Meine Jeans war am linken Knie zerrissen und blutbefleckt. Noch immer spürte ich keinen Schmerz.
    Der Junge gab keinen Laut von sich, als man ihn auf den Sand zog. Sein Mund öffnete und schloss sich in lautloser Panik.
    „Bockmist!“, fluchte Paul. „Große Scheiße!“
    Stephens Hemd hing in Fetzen, Blut strömte aus zahllosen Wunden. Louan hatte keine Wahl gehabt. Hätte er nicht zugebissen, wäre der Junge an den Felsen zermalmt worden. Allein Stephens Gegenwehr trug Schuld an dieser brutalen Rettungsversion.
    Ich redete es mir entschlossen ein.
    Ja, so musste es gewesen sein. All das Blut, all die klaffenden Löcher. Die Angst in Stephens Augen.
    Warum nur war ich auf die Idee gekommen, Louan hierher zu bringen? Ich hätte auf meinen Instinkt hören sollen.
    „Abschießen sollen sie ihn“, schluchzte Suzie. „Der ist gemeingefährlich. Erst zerbeißt er Netze, jetzt greift er Menschen an.“
    „Vielleicht hat das Vieh die Tollwut.“ Alice nahm Stephens schlohweißes Gesicht in beide Hände. „Alles wird gut. Hilfe ist unterwegs. Schlaf bloß nicht ein, ja? Bleib bei uns.“
    „Habt ihr schon mal von einem Seehund gehört, der Menschen angreift?“, fragte ein anderes Mädchen in die Runde. „Ich nicht. Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Seehunde tun so was nicht.“
    „Stimmt. Bis heute.“
    „Bestimmt hat er die Tollwut.“
    „Blödsinn. Das Vieh hat die Netze schon vor Monaten zerbissen. Ein tollwütiges Tier stirbt nach vierzehn Tagen.“
    „Dann hat er eben Blut geleckt. Wie die Tiger in Indien. Merken sie einmal, wie leicht Menschen anzugreifen sind, tun sie es immer wieder.“
    „Das ist kein Tiger, Alter. Das ist ein Seehund. Ein harmloses Vieh, das sich von kleinen Fischen ernährt, nicht von Menschenfleisch.“
    „Harmlos? Das nennst du harmlos? Hast du noch Augen im Kopf, du Vollpfosten?“
    „Die Fischer sollen ihn abschießen. Seht euch das an. Er hat seine Schulter in Hackfleisch verwandelt.“
    Mir wurde übel. Ich musste hier weg. Ich wollte das alles nicht mehr sehen und hören. Louan war kein Ungeheuer. Niemals. Aber verdammt, was wusste ich denn über ihn und seine Rasse? Alle Fragen, die sich mit der Gefährlichkeit seiner Spezies beschäftigten, hatte er geschickt umschifft oder abgeblockt. Was, wenn der Rausch ihn veränderte? Was, wenn er in den Vollmondphasen zu etwas wurde, das nichts mit dem Jungen zu tun hatte, den ich liebte? Dann war das, was geschehen war, allein meine Schuld. Denn ich hatte Louan unter die Menschen

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