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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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meinen lädierten Zustand, höchstens ein paar Tage überleben. Schon jetzt konnte ich kaum einen klaren Gedanken fassen, geschweige denn versuchen, Ruths und Aarons Gefühle zu beeinflussen. Das Gift, das sie benutzten, um meine Sinne zu narren, tat sein Übriges dazu. Was dort aus dem Beutel direkt in meine Adern tropfte, wollte ich gar nicht wissen.
    Ich würde sterben, ohne zu wissen, was Mari widerfahren war. Ob sie ihr Leben weiterlebte und glücklich wurde, ob Raer den Sieg davontrug oder scheiterte.
    Manche jungen Selkies waren Gerüchten zufolge erfolgreich darin gewesen, vollständig zum Menschen zu werden. Doch ich hatte zu lange im Meer gelebt. Es erfüllte mich, es war mein Herzschlag. Ich hörte die Wellen dort draußen an den Strand rollen. Ganz nah und zugleich unendlich fern. Je länger ich darauf lauschte, umso lauter wurden sie.
    Komm , riefen sie. Komm zu uns . Schwimme weit und tief.
    Die Schwärze kehrte zurück, und ich hieß sie willkommen. Alles war besser, als zu fühlen und zu denken. Doch die gnädige Bewusstlosigkeit war vorbei, noch ehe ich vergessen konnte.
    Etwas Scharfes, Bitteres holte mich zurück. Vertraut und fremd zugleich. Was war das für ein Schmerz? Zuerst fühlte es sich an wie ein feiner Stich, dann wie ein giftiger Stachel, der sich in mein Rückgrat bohrte und mit gewaltigem Druck tiefer drang. Ein Wirbel aus rauschender Dunkelheit erfasste mich. Mir schwanden erneut die Sinne, und als sie zurückkehrten, rauschte das Laub einer Blutbuche vor dem Fenster im Wind. Computer, Mikroskope, weiße Laken und grelle Lichter stürzten auf mich ein.
    Draußen schien die Sonne. Eine Brise wehte herein und trug den Duft des Meeres in sich.
    Ich muss hier raus! Ich muss weg.
    Muss zu Mari … muss ins Wasser.
    Meine Gedanken verdampften wie Wassertropfen in heißer Sonne.
    Jemand kniete vor mir und hielt mich fest. Die Fesseln waren gelöst, ich lag auf der Seite, zusammengekrümmt wie ein Embryo. Ich musste fliehen. Jetzt! Der Gedanke an Mari schmerzte schlimmer als der Stachel in meiner Wirbelsäule.
    „Bist du endlich fertig?“ Aaron war es, der über mir kauerte. Er klang wütend. „Jetzt mach hin.“
    „Schon erledigt“, fauchte Ruth zurück. „Hör auf, mich zu hetzen.“
    „Du tust ihm weh.“
    „Oh bitte. Werde jetzt nicht zum Weichei.“
    Das Stechen in meinem Rücken endete. Ruth und Aaron rutschten vom Bett, die Matratze hob sich wieder.
    „Wenn es dich beruhigt: Das war das Letzte, was ich noch brauchte. Damit wären wir fertig.“
    Aaron seufzte. Durch den Schleier, der über meinem Blick lag, sah ich sein ausgezehrtes, unglückliches Gesicht.
    „Der Preis ist zu hoch. Er ist viel zu hoch.“
    „Jetzt hör mir mal zu! So langsam habe ich …“
    In diesem Augenblick sprang ich vom Bett auf. Ruth stieß einen Schrei aus. Zwei Schritte gelangen mir, dann verwandelte sich alles, was mich umgab, in ein wildes Kaleidoskop aus grellen Farben und Strudeln. Ich fiel gegen das Fensterbrett, stieß eine Lampe um und griff nach dem Nächstbesten, das sich mir bot. Die Lehne eines Sessels. Schmerzen loderten in meinem Kopf. Er schien zerbersten zu wollen. Es war unmöglich zu stehen, unmöglich zu rennen.
    Meißel wurden mit gnadenlosem Hämmern in mein Gehirn getrieben. Grelle Blitze explodierten vor meinen Augen. Ich spürte Arme, die sich um mich schlossen. Meine Schläge schienen wirkungslos. Stimmen umschwirrten mich, doch ich verstand kein Wort.
    Die letzte Chance war verstrichen.
    Als mein Bewusstsein schwand, spürte ich, dass alle Kraft zu Ende war. Ohne das Fell war ich verloren. Vielleicht, und in diesem Gedanken vereinte sich Wut mit Erlösung, würde ich nicht einmal mehr aufwachen.
    Hätte ich Mari wenigstens noch einmal wiedersehen können.
    ~ Mari ~
    Wie wurde man wieder Mensch?
    Drücken? Pressen? Sich konzentrieren? Irgendwelche Formeln murmeln, einen geheimen Zauberspruch aufsagen oder etwas Bestimmtes zu sich nehmen?
    Louans Gefühle schienen von überall her auf mich einzuströmen, schemenhaft wie ein Flüstern am Rande eines Traumes.
    Ich hatte gehofft, sie würden mich zu ihm führen, stattdessen ließen sie mich nur umherirren.
    Die finstere Tiefe machte mir Angst.
    Sie war unauslotbar und gespenstisch. Eine gewaltige Welt voller Wunder und Gefahren, in der ich winzig war. Beute für viele Geschöpfe.
    Hätte ich nicht verwirrter sein sollen angesichts des Umstandes, ein Tier zu sein? Litt ich womöglich unter einem Schock? Meine Hände waren zu

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