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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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umgab.
    Sein Brustkorb fühlte sich an, als wolle eines dieser widerlichen, wurstförmigen Aliens aus ihm herausbrechen.
    Der Selkie starrte ihn aus glasigen Augen an. Aaron biss sich auf die Lippe.
    Tu es! Tu es endlich! Befreie ihn!
    Er setzte das Messer an die Fußfesseln, als er plötzlich eine leise Stimme hörte.
    „Hilf ihr.“
    War es der Junge gewesen? Aaron fuhr hoch. Ja, er sah ihn direkt an, den Oberkörper so weit aufgerichtet, wie es die Fesseln zuließen. „Hilf ihr.“
    Ein unterdrücktes Stöhnen, und der Junge fiel zurück in das Kissen. Sein Atem ging schwer und schleppend, der Puls an seinem Hals raste. Ihr helfen? Wen meinte er? Wohl kaum Ruth. Wusste vielleicht das Mädchen und ihr Vater, dass er hier war, und sie machten sich daran, ihn zu befreien?
    Hoffst du etwa darauf? Er verfügt über unglaubliche Heilkräfte. Stell dir nur vor, was das für die Krebsforschung bedeuten könnte.
    Unzählige Leben, die auf dem Spiel standen. Todkranke Menschen, gerettet durch ein Wunder. Aber die Welt war kein Bollywood-Film. So viele Dinge, die diesen Planeten in einen besseren Ort verwandelt hätte, waren in fest verschlossenen Schubladen verschwunden, weil sie den Profit einiger Weniger gefährdeten. Er war ein Träumer. Was bitte erwartete er von der Realität? Ein Serum, das Menschen schier allmächtige Selbstheilungskräfte schenkte, war der Alptraum aller Pharmaunternehmen. Wie sagte man so schön? Der Pessimist ist nichts weiter als ein gut informierter Optimist. Hier ging es nicht um die Heilung tödlicher Krankheiten oder um vorgehaltenes Gutmenschentum. Es ging darum, einen Unschuldigen zu befreien.
    Aaron holte tief Luft, setzte erneut die Klinge an und …
    „Erledigt!“ Ruths Stimme fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Hastig ließ er das kleine Messer in seinem Ärmel verschwinden.
    Als hätte er es geahnt. Eine größere Klinge wäre kaum zu verstecken gewesen.
    „Jetzt ist alles hieb- und stichfest. Wir müssen das Wichtigste zusammenstellen. Komm, hilf mir. Schlafen können wir, wenn wir auf dem gesamten Erdball in aller Munde sind. Für den Rest der Zeit lasse ich ihn besser in Ruhe.“ Sie nickte zum Gefangenen hinüber. „Dann wird er sich schon wieder erholen. Ach ja, und gib ihm nachher was, okay? Ich meine was Richtiges, nichts aus dem Schlauch. Irgendwas, das ihn wieder zu Kräften kommen lässt. Mach ihm einen Tee oder eine Hühnersuppe oder sowas.“
    Hühnersuppe? Tee? Aaron schloss die Augen. Sein Körper reagierte auf den Stress mit mörderischem Sodbrennen und Herzrasen. Kalt schmiegte sich die Klinge an sein Handgelenk, lechzend danach, sich in Ruths Hals zu bohren. Hass schnürte ihm die Kehle zusammen, zurückgehalten von … ja, was?
    Feigheit?
    „Ich glaube kaum, dass er wieder zu Kräften kommt“, schnauze Aaron. „Er ist so gut wie hinüber, falls dir das in all deinem Eifer noch nicht aufgefallen ist.“
    Ruth kniff die Augen zusammen. Offenbar hatte er einen wunden Punkt getroffen. „Unsinn. Er wird schon wieder. Es war einfach zu viel in den letzten Tagen.“
    „Sieh ihn dir an!“ Er brüllte es fast hinaus. „Sieh genau hin. Es würde mich wundern, wenn er bis zu deiner hochgelobten Konferenz am Leben bleibt. Aber was soll’s, dann präsentieren wir ihn eben ausgestopft.“
    Ruth setzte ihm ihren Zeigefinger auf die Brust. Inzwischen fehlte ihr offenbar die Lust, ihn wie eine Gottesanbeterin um den Finger zu wickeln. „Wenn er stirbt, ist es deine Schuld. Ich wollte, dass du nach seinem Fell suchst. Aber du hast den Hintern nicht hoch bekommen. Jetzt sieh zu, wie du ihn am Leben hältst.“
    „Das war’s.“ Aaron ballte die Hände zu Fäusten. „Mir reicht es endgültig. Du hast mich lange genug benutzt.“
    Gerade wollte er nach vorne greifen, um Ruths widerlichen, dürren Hals zu packen, als zwei Dinge gleichzeitig geschahen. Seltsame Geräusche erklangen, fast wie ein Keuchen, und die Gesichtszüge vor ihm, in denen im Geiste schon seine Faust gelandet war, entgleisten.
    „Was ist das?“, stieß Ruth hervor. „Siehst du das, Aaron? Ist das nicht … oh mein Gott. Er verwandelt sich!“
    Sie stürzte hinüber zu dem Selkie, der sich matt in den Fesseln hin und her wand. Sein Atem klang, als kollabierten die Lungen. Adern traten hervor, Muskeln verkrampften sich. Tropfen kalten Schweißes bedeckten die Haut des Jungen. Aaron glaubte, die Erschöpfung narrte seine Sinne. Silberne, seidenfeine Haare wuchsen auf den Oberschenkeln, der

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