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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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auftauchten.
    Inverness.
    Louans Nähe wurde so deutlich spürbar, dass ich nicht mehr daran zweifelte, ihrer Spur folgen zu können. Die letzte Wegstrecke legte ich in einem wahren Sprint zurück, wobei ich auf die noch im Dunkeln liegenden Hügel östlich der Stadt zusteuerte. Dort musste er sein. In einem der Häuser, die sich langsam aus der schwindenden Nacht herausschälten.
    Ich schwamm die Küste ab, Kilometer für Kilometer, bis sich das Gefühl, das sich in meiner Brust konzentrierte, abrupt verstärkte.
    Dort oben, das Haus. Da musste er sein.
    Ich wusste es.
    Nein, ich fühlte es. Schwindelnd vor Aufregung hielt ich auf eine Bucht östlich des Gebäudes zu. Hier war ich vor Blicken geschützt, wenigstens erschien es mir so, denn Felsen umschlossen sie von beiden Seiten.
    Wie erschöpft ich war, spürte ich erst, als ich meinen Körper an Land hievte. Müdigkeit zerrte verlockend an meinem Geist, doch ich zwang sie nieder. Stattdessen legte ich Louans Fell ab, entspannte mich so weit wie möglich und ließ meine Gedanken fließen, immer um ein bestimmtes Bild herum. Wie die Seehundhaut aufbrach und den Menschen freigab. Mein anderes, blass gewordenes Ich.
    Da waren sie wieder, die Schmerzen. Das Engegefühl, das Pulsieren. Ich durfte keine Angst empfinden. Vielleicht war ich beim ersten Mal gescheitert, weil ich mich verkrampft hatte, verwirrt von dem, was ich fühlte. Obwohl die Panik mit kalten Fingern nach mir griff, blieb ich vollkommen locker und überließ mich dem Strom der Verwandlung. Ein Reißen, ein Brennen. Mein Fell platzte auf wie eine überreife Frucht. Ein Schrei entkam meiner Kehle. Weder menschlich noch tierisch. Ich musste es ertragen. Fast war es geschafft.
    Blut floss in den Sand. Ich streckte mich, rollte mich herum. Dann war es plötzlich da, das Bewusstsein für meinen Menschenkörper. Ich konnte meinen Arm fühlen, meine Hand und die Finger. Die Füße gruben sich aus dem reißenden Fell. In einem letzten Aufbäumen griff ich nach der Seehundhaut und zog sie mir vom Körper. Haut löste sich von Haut. Jetzt tat es nicht mehr weh, sondern fühlte sich kaum seltsamer an, als aus einem zu engen Kleidungsstück herauszuschlüpfen.
    Endlich war es geschafft. Zitternd kniete ich im Sand, das Fell an meine Brust drückend. Hinter mir in den Wellen wartete das Orcaweibchen, ein riesiger Schatten unter der Oberfläche. Stumm wünschte sie mir Glück.

    Louans Nähe verblasste. Ich wusste, was das bedeutete. Sein Geist entfernte sich, weil sein Körper starb. Den Gedanken, womöglich zu spät zu kommen, schob ich weit von mir. Als allererstes musste ich in das Haus kommen, erst dann war es Zeit, weiterzudenken.
    Vorsichtig, beide Felle an mich raffend, watete ich über glitschige Steine und von Seepocken übersäte Felsen, um in die nächste Bucht zu gelangen, von der aus, wie ich gesehen hatte, eine Steintreppe zum Haus hinaufführte.
    Unschuldig schimmerte goldenes Licht hinter einem der großzügigen, viergeteilten Fenster. Ob Louan in diesem Zimmer war? Ich sah einen Schatten durch das Licht huschen. Er war zierlich und weißhaarig. Ruth! Mein Herz tat einen Satz. Wenn sie hier war, war auch mein Selkie nicht weit.
    Behutsam arbeitete ich mich weiter, immer darauf bedacht, nicht auf einen der Seeigel zu treten. Im schlimmsten Fall würde ich dann keinen Schritt mehr tun können. Meine erste und einzige Begegnung mit den Stacheln des Tieres war in schmerzhaften, wochenlang entzündeten Wunden geendet. Ob das jetzt, wo ich die Grenze zum Mystischen überschritten hatte und selbst zu einem magischen Wesen geworden war, ebenso war, wollte ich nicht in Erfahrung bringen.
    Endlich setzte ich meine Füße auf weichen Sand. Das Licht einer noch nicht aufgegangenen Sonne gab ihm das Aussehen vanillegelber Seide. Im Laufschritt hetzte ich die Treppe hoch, immer das Fenster im Auge behaltend, hinter dem der Schatten begann, hektisch auf und ab zu tigern. Irrte ich mich, oder telefonierte sie? Louans Nähe fühlte sich an wie ein Nebelstreif, der sich aufzulösen begann. Geduckt huschte ich durch den verwilderten Vorgarten des Hauses, der aus Steingärten und knorrigen Kiefern bestand. Düster wie das Haus selbst, dessen einstmals helle Farbe längst grau geworden war, zerfressen vom salzigen Wind. Auf der rechten Seite schien sich ein Kellereingang zu befinden. Die Chance, dass er offen war, wo Ruth und Aaron doch ein so spektakuläres Geheimnis zu bewahren hatten, ging gegen Null.
    Dennoch huschte

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