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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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schuld.“
    „Okay.“ Ich hob abwehrend die Arme. Warum machte ihn das so wütend? Hatte ich einen wunden Punkt getroffen? „Du hast recht. Du bist alt genug, um zu wissen, was das Richtige ist.“
    Louan schnaufte. „So alt wird niemand.“
    Eine Weile ging er stumm neben mir her. Ich spürte, wie aufgewühlt er war, aber ich wusste nicht, warum. Sein Körper war angespannt, seine Hände zu Fäusten geballt. Fast war ich erleichtert, als er wieder zu sprechen begann: „Das Meer ist leer geworden. Es gibt kaum mehr Fische. Um satt zu werden, muss ich Muscheln essen oder weit hinausschwimmen.“
    „Ich weiß.“ Jetzt hatte er ein Thema gefunden, dass mich unangenehm berührte. „Und wer ist daran schuld? Meinesgleichen.“
    „Du bist an gar nichts Schuld, Mari.“
    „Aber ich fühle mich schuldig. Weil ich ein Mensch bin, und weil es Menschen sind, die alles kaputtmachen. Jeden Tag kommen mehr Schiffe und Boote. Jeden Tag werden es mehr Netze. Am Strand liegen Ölklumpen und Müll.“
    „Wissen das die Fischer, die die Seehunde erschießen wollten?“
    Ich zuckte nur mit den Schultern.
    „Gegen die großen Schiffe kann ich nichts tun“, fuhr Louan fort.„Dort, wo sie vorbeiziehen, lebt nichts mehr auf dem Grund. Alles ist zur Wüste geworden. Manchmal kippen sie etwas ins Meer, das alle krank macht. Das Wasser ist bitter und stirbt, und meine Haut fühlt sich an, als würde sie brennen.“
    „Sie entsorgen Gift auf dem offenen Meer.“ Wut brodelte in meinen Eingeweiden. „Eine beliebte Methode, weil sie billig ist. Und das Schlimmste daran ist, dass sie nicht einmal etwas Verbotenes tun.“
    „Dann kommt bald der Tag, an dem die Jäger der Meere verhungern müssen, weil es keine Fische mehr gibt.“
    „Trotzdem hast du MacMuffin geholfen, habe ich recht?“ Vorsichtig blickte ich zu ihm auf. Wie er neben mir ging, mit windverwehtem Haar und wütendem, stolzem Blick, strahlte er eine solche Freiheit aus, dass mir elend vor Sehnsucht wurde. Ich wünschte, ich hätte ihm folgen können. Mir kam Dad in den Sinn, seine Sorgen und sein trauriges Gesicht, die Unmengen an Rechnungen und die gnadenlose Briefe der Bank, die sich nur für eines interessierten: Geld, Geld und nochmal Geld. Nach Meinung der Anzugträger war unsere Gärtnerei trotz des wachsenden Umsatzes ein aussichtsloses Unterfangen. Nicht mehr als ein Klotz am Bein, den es galt, loszuwerden. Ob Dad es schaffen würde, sie umzustimmen?
    Mein Magen drehte sich um. Ich hätte diese Gedanken gerne verdrängt, doch sie saßen mir wie ein hämischer Dämon im Nacken.
    „Er tat mir leid.“ Louan sah mich an, als lese er meine Gedanken. „Und du machtest dir Sorgen um ihn. Du machst dir um viel zu viele Dinge Sorgen.“
    „Woher weißt du das?“
    „Ich spüre es. Du magst den alten Mann. Und ich mag ihn auch. Er ist nicht gierig wie die anderen. Er will nur überleben.“
    „Du magst ihn? Aber er hat auf dich geschossen.“
    Louan lächelte. Es war ein so sanftes, berührendes Lächeln, dass ich den Drang verspürte, ihn in meine Arme zu schließen. Einfach so. Hier und jetzt. Nervös vergrub ich die Hände in der Bauchtasche meines Pullovers.
    „Der Fischer hatte Angst um dich“, sagte er. „Ich kann es verstehen. In eurer Welt bedeutet es nichts Gutes, wenn sich ein nackter Mann über ein Mädchen beugt.“
    Ich grinste dürftig. Mit einem wilden, freien Wesen über die verqueren Regeln der menschlichen Welt zu reden, war das Letzte, was ich wollte. Gemächlich ging Louan weiter, während sich über uns die Sonne durch die Wolkenschleier schmolz.
    „Dann ist es also wahr?“, fragte ich schließlich. „Du kannst Fische herbeisingen?“
    „Nein. Aber ich kann sie in Netze treiben.“ Vor einem Gezeitentümpel ging er in die Hocke. Als er seinen Arm in das Wasser tauchte, ringelte sich ein kleiner Krake um sein Handgelenk. Das zuvor dunkle Tier wurde hell und passte sich Louans Hautfarbe an, bis es bleich wie Perlmutt schimmerte. Anmutig floss der Krake um seine Finger, tastete sich den Arm hinauf und schob sich Stück für Stück voran. Wie gerne wäre ich dieses Tierchen gewesen, um mich mit meinen Saugnäpfen an ihm hochzuarbeiten.
    Mir entfloh ein Glucksen, was Louan mit einem verwirrten Heben seiner Augenbrauen kommentierte. Himmel, was war nur los mit mir? Ich atmete tief durch, schloss kurz die Augen und öffnete sie wieder. Als der Krake Louans Schulter erreichte, nahm er ihn behutsam ab, wobei sich jedes Ärmchen mit einem

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