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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Als er bis zu den Schultern abgetaucht war, warf er mir einen einladenden Blick zu.
    „Komm. Dir passiert nichts.“
    „Ich soll …“ Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück. „Du willst, dass ich …“
    „Ja. Komm ins Wasser.“
    „Ich habe nichts zum Anziehen.“ Heißkalte Schauer ließen mich zittern. Es würde Louan nicht interessieren, dass mir Badesachen fehlten. Er ging völlig unbekümmert mit seiner Nacktheit um, und genauso unbekümmert würde er sein, wenn ich es ihm gleichtat.
    „Wir … ich … wir machen sowas nicht.“
    „Ohne Kleidung zusammen schwimmen?“ Er drehte sich im Wasser wie ein Fisch und warf sein nasses Haar zurück. „Ich weiß, aber wir taten es jeden Tag. Ich denke mir nichts dabei. Komm schon. Ich tue dir nichts. Und sie tun dir auch nichts.“
    „Sie?“
    Er lächelte verschwörerisch und tauchte unter. Minutenlang sah ich nichts, glaubte bereits, ihm sei etwas widerfahren oder er wäre verschwunden, meiner Verklemmtheit überdrüssig. Doch dann teilten sich die Wellen vor mir. Louan erschien, ein diebisches Funkeln in den Augen. Nass und wild und wunderbar.
    „Sei für einen Tag ein Selkie, Mari. Vergiss dein Menschsein.“
    Es waren Worte, die meine imaginären Fesseln lösten. Ich suchte mir einen Felsen, der trocken aussah, zog mich aus und legte die Kleidung darüber. Selbst, als ich nackt im Wind stand, kehrte die Scham nicht zurück. Es war, als hätte ich eine Grenze überschritten, hinter der nichts mehr zählte. Nur noch der Wille, das zu tun, was ich wollte.
    Louan beobachtete mich, doch was in seinen Augen lag, war so arglos und liebevoll, dass ich keine Sekunde zögerte, zu ihm in das Wasser zu gleiten. Es war kalt, aber daran war ich gewöhnt.
    Wenigstens eine Gemeinsamkeit, die wir miteinander teilten.
    Arme schlossen sich um mich, ich spürte seinen glatten Körper an meinem. Langsam glitten wir ins tiefere Wasser, dorthin, wo es wie Lapislazuli schimmerte. Bald gähnte unter mir dunkle, unauslotbare Tiefe, doch kaum blickte ich in Louans Augen, verflog jede Angst. Er würde niemals zulassen, dass mir etwas geschah. Er war bei mir und schützte mich.
    Regungslos schwebten wir im Wasser. Wir bewegten uns nicht, und doch trugen uns die Wellen, als wäre es allein der Wille meines Selkies, der das Meer dazu brachte, uns nicht zu verschlingen. Sein nasses Haar strich über meine Wange, meine Finger glitten über seinen Rücken. Ich hatte die Beine um seine Hüften geschlungen, ohne darüber nachzudenken. Meine Gedanken schwebten dahin, jenseits von Angst und Zweifeln. Ich stellte mir vor, wie er und seine Familie einst gelebt haben mussten. Auf ihrer Sandbank. Frei und unbekümmert. Ob Mann, Frau oder Kind, sie alle waren nackt im Meer geschwommen, so wie wir es jetzt taten. Ihre einzige Kleidung war der Seehundpelz gewesen. Was mich sofort auf einen Gedanken brachte.
    „Was ist mit deinem Fell? Ist es nicht gefährlich, es einfach liegen zu lassen?“
    „Ich behalte es im Blick.“ Louan drehte sich um und suchte nach etwas, doch sein Blick glitt hinaus auf das Meer, nicht in Richtung Land, wo sein tierischer Teil silbern schimmernd auf einer Muschelbank lag. „Habe keine Angst, sie tun dir nichts. Ich kenne ihre Anführerin gut.“
    Ihre Anführerin? Was meinte er damit? Ich wollte gerade den Mund öffnen, um die Frage laut auszusprechen, als ich sie sah. Fünf riesige, schwarze Rückenflossen, zwei davon gerade und spitz wie ein Schwert, die anderen elegant nach hinten gebogen.
    Orcas!
    Zwei Männchen, drei Weibchen. Und sie hielten direkt auf uns zu.
    Mein Instinkt schrie nach Flucht, doch ich rührte mich nicht. Großer Gott, fünf Wale schwammen auf uns zu, und ich trieb in tiefem, dunklem Wasser. Louan hielt mich fest umfangen und lächelte beruhigend. Wenn er sich nicht fürchtete, gab es auch für mich keinen Grund. Im Geiste sah ich meinen Vater vor mir. Seine Tochter schwamm nackt im Meer, gemeinsam mit einem Selkie und fünf Orcas.
    Vermutlich würde er auf der Stelle einem Herzinfarkt erliegen.
    Eines der Tiere tauchte steil vor uns auf, wuchs langsam in die Höhe, um schließlich, als die Hälfte des weißen Walbauches vor mir aufragte, majestätisch in das Wasser zurückzugleiten.
    „Sie ist die Anführerin.“ Louan löste sich von mir, griff nach der Rückenflosse des Orcaweibchens und zog sich auf ihren Rücken. Kaum schwamm ich allein im Wasser, zog die Tiefe an mir. Ich fühlte mich schwer, hilflos, ausgeliefert. Hektisch begann

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