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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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viele ihrer Netze zerstört.“
    „Das dachte ich mir schon. Sie waren kurz davor, sämtliche Seehunde abzuschießen.“
    „Haben sie davon abgesehen?“
    Ich nickte. „Aber nur, weil es zu keinen weiteren Übergriffen kam.“
    Louan verzog das Gesicht und sagte nichts darauf. Als das Schweigen begann, unangenehm zu werden, stellte ich eine weitere Frage.
    „Warum bist du wieder zurückgekommen?“
    Die Antwort kam ohne zu zögern: „Deinetwegen.“
    Ich schnappte nach Luft. Genau darauf hatte ich gehofft. Nein, ich hatte es befürchtet. Oder beides zusammen? „Meinetwegen?“
    Louan blieb stehen, ohne zu antworten. Er kniff die Augen zusammen, sein Blick wurde lauernd, sein Körper war angespannt. Mir wurde klar, was er vor allem anderen war: ein Raubtier. Selbst in dieser Gestalt weit entfernt vom Menschsein – und unberechenbar. In seiner Welt musste vieles anders sein. Moralvorstellungen, Gesetze, Regeln.
    Blitzschnell huschte Louan vor, bohrte seine Finger in den Schlamm und zog eine Spoot hervor. Jene langen, braunen Muscheln, die auf den Orkneys als Delikatesse gelten. Letzten Sommer hatte man Dad und mich auf ein Fest eingeladen, in dessen Rahmen Unmengen dieser Tiere gegrillt worden waren. Traditionsgemäß legte man sie bei lebendigem Leib auf den Rost, wo sie im Todeskampf Fontänen aus Salzwasser ausgespuckten. Ihr Name beruhte auf einem Verzweiflungsakt. Dad hatte den Gastgeber als barbarischen Idioten beschimpft und war mit mir im Schlepptau davongerauscht.
    „Möchtest du?“, fragte er mich. „Sie schmecken besser als sie aussehen.“
    „Nicht für mein Empfinden. Aber danke.“
    Louan zuckte die Schultern. Während er das Schalentier knackte und verspeiste, suchte ich den Horizont ab. Nur für den Fall, dass MacMuffin sein Versprechen vergaß. Ich unterstellte ihm keine bösen Absichten. Er war nach meinem Vater der einzige Mensch, dem ich mein Leben anvertrauen würde. Doch er hatte mein Beisammensein mit Louan schon einmal falsch interpretiert. Ich wusste, dass er ihm niemals etwas angetan hätte, seine Schüsse damals hatten nur als Abschreckung gedient. Doch was Fabelwesen betraf, an die der Rest der Welt nicht glaubte, war jeder Mitwisser ein Eingeweihter zu viel.
    Louans Augen verengten sich zu Schlitzen, während er zwei vorsichtige Schritte zur Seite vollführte. Er fing eine weitere Spoot, knackte sie und pulte das cremegelbe Fleisch heraus.
    „Du bist also meinetwegen zurückgekommen“, hakte ich nach. „Du setzt dein Leben für mich aufs Spiel? Ist das dein Ernst? Wir kennen uns doch gar nicht.“
    „Du meinst abgesehen von der Tatsache, dass du mir das Leben gerettet hast?“ Er grinste überraschend menschlich. Sein kühles, frostiges Gesicht wurde plötzlich eine Spur sanfter, und ich spürte, wie ich sein Lächeln erwiderte. „Die Nächte im Eis sind sehr einsam. Zu einsam.“
    „Du warst also hoch im Norden?“
    „Ja. Ich habe unter dem Eis gejagt und darauf geschlafen. Es war schön. Wenigstens eine Weile. In der Nacht war der Himmel voller Nordlichter, und die weißen Wale kamen, um mit mir zu schwimmen. Aber nichts macht lange Freude, wenn man es allein tun muss.“
    Wie fremd seine Worte klangen. Eine wohlige Gänsehaut überzog meinen Körper, als ich mir ausmalte, wie ein silberner Seehund durch das stille, finstere Meer der Arktis schwamm, den Tanz der Nordlichter am Sternenhimmel über sich, die weißen Wale an seiner Seite.
    „Du hättest nicht zurückkommen dürfen“, flüsterte ich. „Da oben wärst du sicherer gewesen.“
    „Ich habe meine Insel vermisst“, erwiderte er. „Und ich habe …“
    „Ja?“, presste ich atemlos hervor.
    „Ich habe dich vermisst.“
    Verwirrt schloss ich die Augen und schüttelte den Kopf. „Warum? Wir kennen uns doch kaum.“
    „Weil du …“ Er sah hinreißend konzentriert aus, während er nachdachte. „Weil du ein seltsamer Mensch bist. Seltsamer als die anderen. Ich will mehr über dich wissen. Das passiert mir sonst nie. Alle anderen deiner Art lösen nur einen Instinkt in mir aus: wegschwimmen.“
    „Aha.“ Ich bekämpfte das flaue Gefühl in meinem Magen mit einem unsicheren Lachen. „Ein Selkie sagt mir, ich wäre seltsam. Alles klar. Dann wird es also meine Schuld sein, wenn die Fischer dir das Fell über die Ohren ziehen.“
    „Rede nicht so.“ Seine Stimme wurde scharf, seine Augen blitzten und funkelten. „Ich tue, was ich will. Es war allein meine Entscheidung. Du bist an gar nichts

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