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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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aufregend. Es gab zwei Kamine, eine Wanne, heißes Wasser, duftenden Kuchen und süßen Kaffee. Jacob erzählte uns abends Geschichten, wie man sie Menschenkindern erzählte, und viele davon handelten von Wesen, die aus dem Meer kamen.“
    „Es ist nicht gut geendet, oder?“ Mari sah mich aus ihren großen, wassergrünen Augen an. Ihre Gefühle waren wild wie eine Sturmflut. „Was ist aus den beiden geworden? Und aus Ciara?“
    „Florence wurde eines Tages krank. Es war nichts Ernstes, nur das, was ihr eine Erkältung nennt. Sie erholte sich schnell, aber als Ciara dieselbe Krankheit bekam, verlief alles anders. Meine Schwester wurde mit jedem Tag schwächer. Das Fieber verbrannte sie, ihr Körper wurde dünn und leicht wie eine Feder. In eurer Zeitrechnung dauerte es nur sechs Tage, bis sie in meinen Armen starb.“
    Maris Hand, die gerade auf meiner Hüfte ruhte, hielt inne. „Das tut mir leid.“
    „Ich bin darüber hinweg.“
    „Ihr ward nicht an menschliche Krankheiten gewöhnt. Ein Körper kann sich nicht gegen etwas wehren, das er nicht kennt. Weißt du, was Immunsystem bedeutet?“
    „Nein.“
    Plötzlich schien ihre Müdigkeit wie weggeweht. Sie fuhr hoch und starrte aus schreckgeweiteten Augen auf mich hinab. „Was, wenn ich dich mit irgendetwas anstecke? Ein für mich harmloses Virus könnte dich umbringen, weil du ein ganz anderes Immunsystem hast als ich.“
    „Das ist mir egal. Komm, leg dich wieder hin. Ich bin damals nicht krank geworden, und ich werde auch diesmal nicht krank werden. Und selbst wenn. Ich will einfach nur bei dir sein.“
    Mari knurrte widerstrebend, als ich sie an mich zog. Sie hatte Angst. Genauso wie ich. Ihre Nähe war wie das Licht des Anglerfisches, und ich war die Beute, die dem Glanz nicht widerstehen konnte. Ich wollte sie nicht gehen lassen. Niemals wieder. Aber alles lief darauf hinaus.
    „Da ist noch etwas“, bemerkte sie. „Irgendetwas, dass … ich weiß nicht.“
    Las sie so gut in meinem Gesicht?
    „Florence rief damals einen Arzt“, antwortete ich. „Er sollte Ciara heilen. Ich weiß nicht, woran er es erkannte, aber er fand schnell heraus, dass meine Schwester anders ist. Seinen Eifer schob ich eine ganze Weile auf die Entschlossenheit, ihr Leben zu retten. Ich war naiv und dachte, er wollte ihr helfen. Bis ich ein Gespräch belauschte. Der Arzt befand, Ciaras Leben sei verwirkt. Es gäbe nichts mehr, was sie retten könnte. Er bat Florence und Jacob um die Erlaubnis, ihren Körper der Wissenschaft zur Verfügung stellen zu können. Anschließend äußerte er die Vermutung, ich könnte an derselben vererbten Krankheit leiden. Und dass es besser sei, mich mitzunehmen. An einen Ort, an dem man mir helfen könnte.“
    In Maris Augen funkelte Wut. „Das ist widerwärtig. Darum wolltest du keinen Arzt.“
    „Ich gehe davon aus, dass sich gewisse Dinge niemals ändern.“
    „Nein, sie sind schlimmer geworden.“ Ihre Lippen strichen sanft über meine Brust. Sie wollte mich trösten, und dieses Wissen war so grausam schön. „Was ist dann passiert? Bist du bei Florence und Jacob geblieben?“
    Ich schüttelte den Kopf. „Ciaras Verlust veränderte alles. Mit ihr hatte ich alles verloren, was von meiner Familie übrig geblieben war. Nach alter Sitte übergab ich sie den Meerestiefen und verschwand. Florence und Jacob waren alt, ich wusste, dass sie bald sterben würden. Noch jemanden zu verlieren, den ich liebte, hätte ich nicht ertragen. Ich wanderte durch das Meer und hoffte darauf, irgendwann zu vergessen. Aber ich vergaß nichts. Gelandet bin ich am Ende hier. Auf Skara Brae.“
    „Was ist mit Raer?“ Mari strich mir sanft über das Haar. Als ich in ihr Gesicht sah … in ihr weiches, liebliches Menschengesicht … fühlte ich mich glücklich und elend zugleich. Ehe ich wusste, wie mir geschah, schloss ich sie noch fester in meine Arme und drückte ihren zitternden Körper an mich. Beim Salz der See, sie fühlte sich herrlich an. Ihr Geruch nach Vanille und Menschenmädchen ließ mich schwindeln und entlockte meiner Kehle ein wonniges Knurren. Es fühlte sich an wie der Rausch, aber bis zur ersten Vollmondnacht dauerte es noch einige Tage.
    „Ich glaube, dass er tot ist“, schnurrte ich an ihrem Ohr. Meine Stimme ließ ihren Körper vibrieren wie die Saiten einer Geige. „Seit Jahrzehnten habe ich ihn nicht mehr gesehen oder gespürt. Das letzte Mal kurz nach Ciaras Tod. Er griff mich an, weil er der Meinung war, alles sei meine Schuld gewesen.

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