Sturmjäger von Aradon - Magierlicht - Nuyen, J: Sturmjäger von Aradon - Magierlicht
Gesichter, die das Sprechen nur nachzuahmen schienen. »Du willssst die Totenlichter nur ssammeln für deine Schwessster!«
Er wich ihren starren Augen aus und konzentrierte sich auf seine Füße; die Worte zu hören, die er schon so lange unausgesprochen in sich trug, erschreckte ihn.
»Wenn sssie die Totenlichter nimmt und dein Leben dazu … hieße dasss nicht, sssie liebte dich weniger, viel weniger alsss du sssie? Zu wenig, um deiner Liebe würdig zu sssein …?«
»Was wollt ihr von mir hören?«, fragte er erschöpft. Es fiel ihm schwer, gegen das vielstimmige Gezischel anzureden. Als würde er ein Floß gegen Sturmwellen rudern.
»Menschen reden, reden, träumen von der Liebe! Wer von ihnen hat je geliebt? Lügen, falsche Schwüre, nur Begierde!«, keiften die Nebelgestalten. »Lasss ab von deinem Irrglauben, Druide! Du kannssst Sssaraide nicht trauen … nimmt sssie die Totenlichter von dir, war eure Liebe nur ein leeresss Wort! Nimmt sssie sssie nicht, issst sie eine Verräterin am Tiefen Licht, unwürdig, verabscheuungssswürdig, keiner Liebe wert! Du kannssst niemandem trauen … du ssselbsst musssst die Totenlichter in dir einen! Du lebssst, um all dasss verderbliche Leben ansss Tiefe Licht zurückzugeben! Reinige die Welt von all den irrgläubigen Menschen! Reinige dich von allem Irrglauben!«
Er atmete schwer. Die Stimmen waren immer dunkler geworden, dröhnend und verschlingend.
»Aber ich finde die Totenlichter nicht«, flüsterte er.
»Willssst du … sssie wirklich finden?« Die Gestalten hoben gleichzeitig ihre Ranken bewachsenen Arme und wiesen in eine Richtung. »Geh bisss ansss Ende der Welt. Drei Totenlichter haben bereitss einen Träger. Nur einsss issst noch zu finden … nimm esss dir! Und dann nimm dir alle anderen! Ssag dich losss von der Schlange …«
Im Nebel formten sich Hügel, dann Berge, scharf wie Säbelklingen. In ihrer Mitte pulsierte ein Licht.
»Wo der letzte Druide sssich zum Sterben zurückzog, dort wartet sssein Herz auf einen neuen Träger … am Ende der Welt, wo dasss Land einsss wird mit den Wolken und die Eisgipfel den Himmel tragen …«
Anetán erkannte das Gebilde im Nebel. Norden. Der Rand des Alten Reiches, wo das Land bis ins Grenzenlose anstieg und kein Mensch sich zuvor hingewagt hatte. Kein Mensch … nur der Druide von einst, dessen Herz noch immer im Eis pochte.
»… und auf einen neuen Träger wartet«, hauchten die Elfen. »Hol esss dir, Druide!«
Die Nebel stoben auseinander, die Gestalten und ihre Stimmen verloren sich wie Sandwogen im Wind. Plötzlich stand Anetán wieder allein im regendurchtränkten Land. Die Wiesen bäumten sich auf und Lymaeri brachen schillernd aus der lebendigen Erde, stoben auf ihn zu und glitten unter seine Hände und Beine. Anetán hielt sich in den Mähnen fest. Im nächsten Moment flog er über Farn und Gräser, im Rausch federleichter Funkenkörper.
Das Alte Reich riss unter ihm davon. Die Lymaeri trugen ihn durch tiefste Wälder, wo kein Sonnenstrahl das Dickicht störte, und über weitläufige, goldene Steppen. Licht und Dunkelheit, Regen und Wärme wechselten sich ab im irrwitzigen Rhythmus des Lebens, rasend schnell in ihrer Trägheit wie die Sterne am Firmament.
Das Wetter wandelte sich immer stärker. Schließlich wurde aus Regen Schnee. Wiesen und Wälder verschwanden unter samtig weißen Decken. Die Kälte nagte an Anetán, doch wenigstens umgaben ihn die Lichtkörper der Lymaeri wie ein Sonnenstrahl. Und seine Gedanken befanden sich in einem fieberhaften Taumel. Hatten die Elfen ihm die Wahrheit gesagt – befand sich wirklich ein Totenlicht in den nördlichen Bergen? Es musste, es musste so sein … gewiss hatten die Elfen schon Totumé geholfen, wieso sollte es bei ihm anders sein. Nur weil er Saraide liebte … aber die Elfen gaben ihm eine Chance, sich für das Tiefe Licht, gegen seine Schwächlichkeit zu entscheiden.
Ein Totenlicht. Endlich. Er wäre endlich ein Gegner für seinen Bruder Mercurin. Schon immer waren sie Gegner gewesen. Sein Bruder, dieser verschwiegene, ehrgeizige, eifrige Junge – ihm war nicht zu trauen, das hatte Anetán schon immer gewusst. Manchmal hatte er gebangt, Saraide an ihn zu verlieren. Aber Mercurin war kalt im Herzen, kalt wie der blaue Stern am Abendhimmel, dessen Namen er trug. Selbst wenn Saraide ihm dieselben Dinge dargeboten hatte wie Anetán – was er in seinen schlimmsten Augenblicken befürchtete –, wäre sein eisiger Bruder nie darauf eingegangen.
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