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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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nicht. Er trat hinter dem Rosenbusch hervor und ging auf sie zu.
    {365} »Hallo«, bedeutete er ihr mit den Fingern. »Gefallen dir die Gedichte?«
    Jennys schmale Hände antworteten mit geübten Bewegungen. »Ja. Ich danke dir. Das ist ein wunderschönes Geschenk. Setzt du dich zu mir?«
    Er zögerte. In seiner Tasche war der Brief an John Wilkinson, den Leiter der Taubstummenschule, mit der Bitte, an die Schule zurückkehren zu dürfen. Er wollte ihn so bald wie möglich abschicken.
    Aber dann setzte er sich doch zu ihr. Ihr dunkles Haar flatterte im Wind, während sie ihm rasche Zeichen machte.
    »Ich habe dich heute noch gar nicht lächeln sehen«, signalisierte sie und drohte ihm mit dem Finger wie einem ungezogenen kleinen Jungen.
    Er lächelte schwach. Früher hatte es ihn nicht gestört, wenn Jenny ihn angesehen hatte, aber in letzter Zeit hätte er sich jedesmal, wenn sie ihn anschaute, am liebsten einen Sack über den Kopf gezogen.
    Jenny berührte leicht seinen Arm. »Du bist heute so bedrückt, Adam. Warum?«
    Er überlegte lange. Er mußte es ihr sagen. »Ich gehe nach Berkeley zurück, Jenny.«
    Sie lachte. »Kann ich mitkommen?«
    »Nein, nicht zu Besuch. Für immer.«
    Ihr Lächeln erlosch. »Warum?«
    »Es ist Zeit für mich. Ich bin fast acht Jahre hier gewesen. Ich habe dir alles beigebracht, was ich weiß. Es gibt keinen Grund für mich, noch länger hier zu bleiben.«
    Sie wandte sich ab und drückte die Hände auf ihr Gesicht.
    Es wird nur eine kleine Weile wehtun, dachte Adam. Und dann bin ich nur noch eine Erinnerung …
    Ihr Gesicht war tränennaß, als sie sich ihm wieder zuwandte. »Geh nicht fort«, signalisierte sie.
    »Die Schule braucht mich.«
    »Ich brauche dich.«
    Er schloß die Augen. Er sah die Zukunft nur zu gut. Jenny würde seiner Abreise bald von Verehrern umgeben sein. Er hatte oft bemerkt, wie die Männer sie ansahen, mit einer Mischung aus Begehren und Bewunderung. Nichts sprach dagegen, daß Jenny heiratete und ein normales Leben führte. Samantha, die Gants, sogar Miss Peoples hatten die Zeichensprache gelernt. Jeder Ehemann konnte sie lernen.
    Er faßte sie bei den Handgelenken. »Du brauchst mich nicht mehr!« rief er. »Ich bin nur ein Hindernis für dich. Wenn ich dauernd um dich herum bin, wird nie ein Mann kommen, der dich heiraten will. Jenny!«
    {366} Sie beobachtete angespannt die Bewegungen seiner Lippen, verstand kaum, was er sagte. Dann riß sie sich los. »Geh nicht«, signalisierte sie verzweifelt. »Bitte, geh nicht.«
    Der Pavillon begann vor Adams Augen zu verschwimmen. Er sprang auf. Sie sollte ihn nicht weinen sehen. Einen Moment stand er unschlüssig. Dann drehte er sich um und lief davon.
    Jenny streckte die Arme nach ihm aus, versuchte zu rufen, bewegte schluchzend die Hände. »Ich liebe dich, Adam.«
    Aber Adam sah die flehentlichen Zeichen nicht. Er stürzte ins Haus, durch den Flur, an der verdutzten Miss Peoples vorbei auf die Straße zum nächsten Briefkasten.

5
    Samantha sah auf ihre Armbanduhr. Eigentlich hatte sie zu Mittag essen wollen, ehe sie Visite machte, aber auf ihrem Schreibtisch hatte sich soviel Schreibarbeit angehäuft, daß sie es wahrscheinlich doch wieder einmal nicht schaffen würde. Sie mußte unbedingt die neuen Gefäßklemmen bestellen, die, wie man überall hörte, bei Unterleibsoperationen mit revolutionierendem Erfolg eingesetzt wurden. Außerdem wollte sie bei der Goodyear Rubber Company ein Paar Gummihandschuhe bestellen. Ein Chirurg am Johns Hopkins Krankenhaus hatte seiner Operationsschwester, deren Hände vom Karbol völlig wund gewesen waren, gestattet, Handschuhe zu tragen, und hatte einen plötzlichen merklichen Abfall an postoperativen Infektionen bei seinen Patienten festgestellt. Das war für Samantha Grund genug, selbst mit dieser erstaunlichen Entdeckung zu experimentieren.
    Schließlich lag noch ein ganzer Stapel Korrespondenz da, darunter die Antwortschreiben der Zeitungen und Zeitschriften, an die Samantha sich um Unterstützung in ihrer Kampagne gegen die Arzneimittelhersteller gewandt hatte. Stanton Weatherby hatte recht behalten: Die Presse wollte davon nichts wissen.
    Lustlos schob Samantha das Bündel Briefe auf die Seite. Zu Hause auf ihrem Schreibtisch sah es nicht besser aus.
    Ihr Gesicht verdunkelte sich. Da lag auch der Brief, den sie am Vortag von John Wilkinson, dem Leiter der Taubstummenschule, erhalten hatte. Adam Wolff, schrieb er, hätte darum gebeten, an die Schule zurückkehren zu

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