Sturmjahre
daß es ihn vor allem in der Zeit der Pubertät gequält hatte, als er angefangen hatte, den hübschen Mädchen an der Schule nachzuschauen, und gewußt hatte, daß sie ihn niemals beachten würden. Er hatte sich noch mehr verhärtet: Wenn sie ihn nicht haben wollten, dann brauchte er sie auch nicht. Er brauchte überhaupt niemanden. Er zog sich zurück, entwickelte sich zu einem verschlossenen und unzugänglichen jungen Mann.
Als Lehrer jedoch zeichnete er sich aus. In seiner Isolation, ohne Freunde, ohne geselligen Umgang, wandte Adam sich den geistigen Dingen zu. Er las und lernte und forschte. Er beobachtete, experimentierte und entdeckte bessere Lehrmethoden. Seine Schüler machten immer die schnellsten Fortschritte; sein Enthusiasmus und seine Hingabe vermochten selbst den Widerstand der starrsinnigsten Schüler zu überwinden. Man begann, ihm die schwierigen Klassen zuzuteilen; und bald gab er Einzelunterricht.
Als der Leiter der Schule Samanthas Brief erhielt, in dem sie ihm mitteilte, daß sie einen Hauslehrer für ihre Tochter suche, die schwer geschädigt sei, hatte er sofort beschlossen, ihr Adam Wolff zu schicken. Adam hatte anfangs nichts davon wissen wollen. Er hatte Angst vor der Welt. Nach einer Weile jedoch hatte er auch die Herausforderung in der neuen Aufgabe gesehen und hatte beschlossen, sie anzunehmen. Er wollte sich selbst auf die Probe stellen, sehen, ob er außerhalb der schützenden Mauern der Schule leben konnte.
Auf der ganzen Fahrt hatten die Leute ihn angestarrt, in der Postkutsche, auf der Fähre, im Pferdebus. Als er spät am Heiligen Abend – aufgrund eines Mißverständnisses zwei Wochen zu früh, wie er danach zu seiner Verlegenheit erfuhr – völlig durchnäßt und zornig vor dem Haus in der Kearny Street stand, nahm er sich vor, beim ersten Anzeichen von Erschrecken oder Mitleid bei den Leuten, die ihn engagiert hatten, kehrt zu machen und zur Schule zurückzufahren.
{364} Aber die Frau, die ihm öffnete, lächelte nur freundlich, bat ihn herein, nahm ihm seine nassen Sachen ab und führte ihn in den Salon, wo ein warmes Feuer brannte.
Dort stand im Schein der flackernden Flammen ein kleines Mädchen, das ihn mit großen, aufmerksamen Augen ansah, ohne sich zu rühren. Schweigend und ein wenig verlegen ließ er die Musterung über sich ergehen, bis sie ganz langsam auf ihn zukam, dicht vor ihm stehen blieb und zu ihm aufblickte. Sie hob einen Arm, berührte mit den kleinen Fingern seine vernarbten Wangen und lächelte.
Adam spürte Bewegung hinter sich und drehte sich um. Die Frau, die ihn eingelassen hatte, drückte mit einem Ausdruck, in dem sich Ungläubigkeit und Beglücktheit mischten, die Hand auf den Mund, und als sie die Hand wegzog, sah er, wie ihre Lippen sich bewegten und las: »Jenny! Du lächelst ja!«
Er sah wieder zu dem kleinen Mädchen, und alle Bitternis und aller Groll fielen von ihm ab. Plötzlich konnte er sehen, daß das Leben schön war. Zum erstenmal seit langen Jahren war er innerlich bewegt.
Er blühte auf in diesem Haus, unter Samanthas Zuneigung und Verständnis, unter Jennys schwärmerischer Anbetung. Als er von Samantha hörte, wie abgekapselt und verschlossen Jenny die ganzen Jahre über gewesen war, hatte er keinen sehnlicheren Wunsch, als ihr zu helfen. Anfangs war es nicht leicht gewesen. Die Zeichensprache war nur ein Spiel. Aber schließlich hatten Jennys angeborene Intelligenz und ihr tiefes Verlangen, in Beziehung zu treten, die Mauern eingerissen.
Jennys Wissensdurst war Adam ständiger Ansporn, noch mehr für sie zu tun. Malerei, Literatur, die Natur, die Wissenschaften – es gab nichts, was sie nicht faszinierte und entzückte. Und alles, was sie lernte, betrachtete sie als ein Geschenk von ihm. Adam öffnete Jenny die Welt, und sie gab ihm dafür ihr Vertrauen. Mehr konnte er nicht verlangen.
Aber er liebte sie. Er liebte sie und konnte nichts gegen das Gefühl tun, obwohl er wußte, daß sie es nicht erwiderte, daß sie bestenfalls einen großen Bruder in ihm sah. Sie war neunzehn Jahre alt, selbständig, klug, gebildet, fähig, allein ihren Weg zu gehen. Sie brauchte ihn nicht mehr. Seine Aufgabe war erfüllt.
Auf dem Weg durch den Garten zum Pavillon, wo Jenny mit einem Buch saß, blieb er hinter den Rosenbüschen stehen, um sie einen Moment nur anzuschauen. Sie war so schön.
Sie spürte seine Anwesenheit und sah von ihrem Buch auf. Lächelnd stand sie auf. Er wäre am liebsten davongelaufen, aber das schaffte er
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