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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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kann sich Doktor nennen. Man kann sie auf den ersten Blick von den richtigen Ärzten, die an einer Universität studiert haben, überhaupt nicht unterscheiden. Du hast keine Ahnung, was das für ein Durcheinander gibt.«
    »Aber jeder Kranke möchte doch bestimmt einen richtigen Arzt.«
    »Natürlich, aber woher soll man vorher wissen, ob der Mann, zu dem man geht, ein richtiger Arzt ist? Man geht hin und mitten in der Behandlung merkt man, daß man es mit einem Quacksalber zu tun hat. Und jetzt auch noch Ärzt
innen

    »Aber wenn sie ein Diplom von einer anerkannten Universität haben?«
    »Das ist gar nicht möglich. An den anerkannten Universitäten sind Frauen nicht zugelassen. Ich hab’ dir doch gerade von dem Kampf an der Harvard Universität erzählt.«
    »Aber Dr. Blackwell erzählte mir, daß es in Amerika viele Universitäten gibt, die Frauen zulassen.«
    »Klar, aber das sind alles
Frauen
universitäten. Und die Leute sagen sich, {101} wenn man an einer solchen Universität studiert hat, kann man nicht sehr gut sein, weil man sich mit zweiter Klasse begnügt hat. Also kann man selber auch nur zweitklassig sein.«
    Samantha nickte nur zerstreut und zog sich in ihre eigenen Gedanken zurück. Was Louisa ihr da über das Infirmary und die Frauenuniversitäten erzählt hatte, gab ihr zu denken. Stimmte das alles wirklich? Und wurden Ärztinnen hier tatsächlich als minderwertig und nicht vertrauenswürdig betrachtet? Elizabeth Blackwell hatte davon nichts gesagt.
    Die Angst kehrte zurück. Was, wenn ich es nicht schaffe?

2
    »Die Gründung unserer Lehranstalt entsprang einem dringenden Bedürfnis, Miss Hargrave. Auf jede einzelne Frau, die es schafft, zum Medizinstudium an einer Männeruniversität zugelassen zu werden, kommen Hunderte, die abgelehnt werden. Meine Schwester gründete das Infirmary im Jahr 1855; 1864 wurde uns vom Gesetz das Recht zugestanden, den Doktorgrad zu verleihen. Vor neun Jahren hielten wir unsere erste Promotionsfeier. Damals hatten wir fünf Doktorandinnen.«
    Sie saßen in Dr. Emily Blackwells kleinem Büro. Die Frau hatte viel Ähnlichkeit mit ihrer Schwester. Sie hatte sich die Zeit genommen, Samantha durch den ganzen Komplex zu führen – zwei benachbarte alte Stadthäuser, die in ein Krankenhaus mit Krankensälen, Operationsräumen, Ambulanz und Unterrichtsräumen umgebaut worden waren. Samantha hatte die blitzsauberen Säle gesehen und einige der Ärztinnen und Studentinnen kennengelernt.
    »Das Krankenhaus wurde gegründet, um mittellosen Frauen und solchen Frauen, denen es unerträglich ist, sich von einem Mann untersuchen oder behandeln zu lassen, die Möglichkeit zu geben, sich hier sachkundige medizinische Hilfe zu holen. Im ersten Jahr behandelten wir dreitausend Patientinnen, Miss Hargrave. Heute, dreiundzwanzig Jahre später, ist die Zahl auf das Zehnfache angestiegen.«
    Emily lächelte stolz. »Da ergab sich die Gründung einer Lehranstalt zur Ausbildung zukünftiger Mitarbeiterinnen eigentlich ganz von selbst. Unsere Studentinnen sehen die Patientinnen in der Ambulanz, beraten sie und schicken sie mit Medikamenten und Anweisungen zur Körper- und Gesundheitspflege wieder nach Hause. Wir befinden uns mitten in einem Einwandererviertel, Miss Hargrave, und viele dieser Frauen haben sehr eigenartige Vorstellungen von Hygiene und Reinlichkeit. Aus die {102} sem Grund machen unsere Pflegerinnen regelmäßig Hausbesuche, um sich um die Kranken zu kümmern und sie, wenn möglich, mit den Grundsätzen der Hygiene vertraut zu machen. Wie Sie selbst gesehen haben, bekommen alle unsere Studentinnen die Möglichkeit, gründliche klinische Erfahrung zu sammeln.«
    Samantha äußerte ihre Skepsis über den Wert des Diploms vom New York Infirmary.
    »Ich will gar nicht bestreiten, daß es starke Vorurteile gegen uns gibt und daß die wenigen Frauen, die das Diplom einer Männeruniversität vorweisen können, weit mehr Ansehen genießen, aber ich bin überzeugt, daß man uns mit der Zeit, wenn wir unsere Kompetenz bewiesen haben, anerkennen wird. Die Leute mögen über uns sagen, was sie wollen, Miss Hargrave, wir sind eine wissenschaftliche Hochschule.«
    Samantha war im Zwiespalt, als sie wieder ging. Das Infirmary hatte sie beeindruckt; an einem so fortschrittlichen Institut zu lernen, mit hervorragenden Ärztinnen wie der berühmten Mary Putnam Jacobi zusammenzuarbeiten, das war verlockend. Aber die Frau, die sie am meisten bewunderte, Elizabeth Blackwell, hatte an einer

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