Sturmklänge - Sanderson, B: Sturmklänge - Warbreaker
bemitleidet mich nicht wegen meines Glaubens. Und glaubt nicht, dass Ihr besser seid, nur weil Ihr an etwas anderes glaubt.«
Vivenna machte den Mund wieder zu. Offenbar hatte es keinen Sinn, mit dieser Frau zu streiten. Juwelchen war nicht in der Stimmung, Vivennas Mitleid zu würdigen. Also zog sich Vivenna ins obere Stockwerk zurück.
Wenige Stunden später setzte die Abenddämmerung ein. Vivenna stand auf dem Balkon im zweiten Stock des Hauses und schaute über die Stadt. Die meisten Gebäude in der Straße hatten einen solchen Balkon an der Vorderfront. Prahlerisch oder nicht, von dieser Stelle am Berghang hatte man einen schönen Blick auf T’Telir.
Die Stadt erglühte vor Licht. Auf den größeren Straßen wurden die Bürgersteige von Lampen an Pfählen erhellt, die jede Nacht von städtischen Arbeitern entzündet wurden. Auch viele Häuser waren erleuchtet. Eine solche Verschwendung von Öl und Kerzen erstaunte Vivenna noch immer. Doch aufgrund der Nähe des Binnenmeeres war das Öl hier viel billiger als im Hochland.
Sie wusste nicht, was sie von Juwelchens Gefühlsausbruch halten sollte. Wie konnte jemand stolz darauf sein, dass ihm der Hauch weggenommen und an einen gierigen Zurückgekehrten verfüttert worden war? Die Frau hatte geklungen, als ob sie es ernst gemeint hätte. Offenbar hatte sie schon früher über diese Dinge nachgedacht. Und sie hatte sich ihre Erfahrungen schönreden müssen, so dass sie mit ihnen leben konnte.
Vivenna steckte in einer Zwickmühle. Die Fünf Visionen lehrten, dass sie versuchten musste, andere zu verstehen. Sie befahlen ihr, sich nicht über andere zu erheben. Aber der Austrismus lehrte, dass das, was Juwelchen getan hatte, eine schreckliche Sünde und Verirrung war.
Das schien ein Widerspruch zu sein. Wenn Vivenna glaubte, dass Juwelchen etwas Schlimmes getan hatte, dann stellte sie sich damit über diese Frau. Aber wenn sie das akzeptierte, was Juwelchen gesagt hatte, dann verleugnete sie den Austrismus. Einige hätten über ihren inneren Aufruhr sicherlich gelacht, aber Vivenna hatte sich immer bemüht, fromm zu sein. Sie hatte begriffen, dass sie äußerste Frömmigkeit brauchte, um im heidnischen Hallandren zu überleben.
Heidnisch. Erhob sie sich nicht über die Hallandrener, wenn sie sie so nannte? Aber sie waren Heiden. Es war Vivenna unmöglich, die Zurückgekehrten als wahre Götter anzusehen. Allmählich schien es ihr, als ob jeder Glaube in Überheblichkeit mündete.
Vielleicht hatte sie das verdient, was Juwelchen zu ihr gesagt hatte.
Jemand kam. Vivenna drehte sich um, als Denth die Holztür öffnete und auf den Balkon trat. » Wir sind wieder da«, verkündete er.
» Ich weiß«, sagte sie und betrachtete weiterhin die Stadt und ihre Lichterflecken. » Ich habe vor einer Weile gespürt, dass ihr das Haus betreten habt.«
Er kicherte und stellte sich neben sie. » Ich vergesse immer wieder, dass Ihr so viel Hauch in Euch habt, Prinzessin. Ihr benutzt ihn nie.«
Außer wenn ich Menschen in meiner Nähe spüre, dachte sie. Aber dagegen kann ich nichts tun, oder?
» Ich kenne diesen Blick der Enttäuschung«, bemerkte Denth. » Befürchtet Ihr immer noch, dass unser Plan nicht schnell genug in die Tat umgesetzt wird?«
Sie schüttelte den Kopf. » Es geht um ganz andere Dinge, Denth.«
» Ich hätte Euch nicht so lange mit Juwelchen allein lassen sollen. Ich hoffe, sie hat Euch nicht allzu sehr zugesetzt.«
Vivenna erwiderte nichts darauf. Schließlich seufzte sie und wandte sich ihm zu. » Wie ist es gelaufen?«
» Perfekt«, antwortete Denth. » Als wir uns um den Laden gekümmert haben, hat niemand zugesehen. Wenn man bedenkt, wie viele Wächter sie nachts aufstellen, müssen sie sich ganz schön an der Nase herumgeführt vorkommen, im hellen Tageslicht ausgeraubt worden zu sein.«
» Ich verstehe noch immer nicht, wozu das gut sein soll«, sagte sie. » Warum ausgerechnet der Laden eines Gewürzhändlers?«
» Nicht sein Laden«, berichtigte Denth. » Sein Lager. Wir haben jedes Fass Salz im Keller entweder davongeschleppt oder verdorben. Er ist nur einer von drei Männern, die Salz in großer Menge lagern; die meisten anderen Händler kaufen bei ihm.«
» Ja, aber warum Salz?«, fragte Vivenna. » Was soll das nützen?«
» Wie heiß war es heute?«, fragte Denth zurück.
Vivenna zuckte die Achseln. » Zu heiß«.
» Und was passiert mit Fleisch, wenn es zu heiß ist?«
» Es verdirbt«, antwortete Vivenna. » Aber man kann
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