Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sturmklänge - Sanderson, B: Sturmklänge - Warbreaker

Titel: Sturmklänge - Sanderson, B: Sturmklänge - Warbreaker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Sanderson
Vom Netzwerk:
wollte, im Geiste vorstellen musste. Sie versuchte es und dachte daran, wie sich das Seil von selbst löste.
    » Binde dich los«, sagte sie mit aller Deutlichkeit.
    Abermals geschah nichts.
    Frustriert lehnte Vivenna den Kopf zurück. Das Erwecken schien eine sehr vage Kunst zu sein, was seltsam war, wenn man die Menge von Regeln und Beschränkungen betrachtete, die damit einhergingen. Oder sie erschien Vivenna nur so vage, weil sie so schwierig war.
    Sie schloss die Augen. Ich muss das schaffen, dachte sie. Ich muss mich befreien. Wenn nicht, werde ich sterben.
    Sie schlug die Augen auf und konzentrierte sich ganz auf ihre Fesseln. Sie stellte sich vor, wie sie sich lockerten, aber irgendwie fühlte sich das falsch an. Sie war wie ein Kind, das dasaß, ein Blatt anstarrte und es dadurch bewegen wollte.
    Doch so funktionierten ihre neu entdeckten Sinne nicht. Sie waren ein Teil von Vivenna. Also entspannte sie sich, statt sich zu konzentrieren, und überließ die Arbeit ihrem Unterbewusstsein. Es war ein wenig so, wie wenn sie die Haarfarbe wechselte.
    » Binde dich los«, befahl sie.
    Der Hauch floss aus ihr. Er war wie Luftblasen unter Wasser und verströmte einen Teil ihres Selbst. Sie spürte, wie er in etwas anderes hineintrieb. Dieses andere wurde zu einem Teil von ihr– zu einem Glied, das sie kaum unter Kontrolle hatte. Es war mehr ein Gefühl von dem Seil als die Fähigkeit, es zu bewegen. Als der Hauch sie verließ, spürte sie, wie die Welt dumpfer und die Farben weniger grell wurden; der Wind war nun etwas leiser und das Leben der Stadt etwas ferner. Das Seil um ihre Gelenke zuckte, und ihre aufgescheuerte Haut brannte noch stärker.
    Dann löste sich das Seil und fiel zu Boden. Ihre Arme waren frei. Vivenna setzte sich auf und starrte schockiert ihre Handgelenke an.
    Austre, Herr der Farben, dachte sie. Ich habe es getan. Sie war sich nicht sicher, ob sie beeindruckt oder beschämt sein sollte.
    Wie dem auch sei, sie wusste, dass sie sofort weglaufen musste. Sie band ihre Fußgelenke los, kämpfte sich auf die Beine und bemerkte, dass ein Teil der Holztür dort, wo sich ihre Hände befunden hatten, in einem kreisförmigen Muster völlig farblos geworden war. Sie hielt nur kurz inne, packte dann das Seil und lief die Treppe hinunter. Sie entriegelte die Tür und spähte hinaus auf die Straße, aber es war schon dunkel, und sie konnte kaum etwas sehen.
    Vivenna holte tief Luft und huschte in die Nacht hinaus.
    Ziellos lief sie eine Weile umher und versuchte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und Vaschers Unterschlupf zu bringen. Sie wusste, dass sie sich ein Versteck suchen musste, aber sie hatte Angst. In ihrem feinen Kleid war sie sehr auffällig, und alle, die ihr auf ihrem Weg begegneten, würden sich an sie erinnern. Ihre einzige Hoffnung bestand darin, aus dem Elendsviertel herauszukommen und in die eigentliche Stadt zu gelangen, wo sie nach Denth und den anderen suchen konnte.
    Sie trug das Seil in einer Tasche ihres Rocks, die hinter einer Falte an der Seite verborgen war. Inzwischen hatte sie sich so sehr an ihren Hauch gewöhnt, dass sich sogar das Fehlen des winzigen Bruchteils, der nun in dem Seil steckte, falsch anfühlte. Die Erwecker konnten den Hauch, den sie in einen Gegenstand schickten, zurückholen; das hatte Vivenna gelernt. Allerdings kannte sie das Kommando dafür nicht. Daher hatte sie das Seil mitgenommen und hoffte, Denth konnte ihr beim Zurückholen des Hauchs behilflich sein.
    Sie lief schnell und mit gesenktem Kopf und hielt nach einem weggeworfenen Mantel oder Stofffetzen Ausschau, den sie um sich wickeln und damit ihr auffälliges Kleid verbergen konnte. Doch zum Glück war es sogar für die meisten Raufbolde schon zu spät. Hier und da sah sie schattenhafte Gestalten an den Seiten der Straße, und sie hatte Mühe, ihren Herzschlag unter Kontrolle zu halten, wenn sie an ihnen vorbeiging.
    Wenn doch bloß die Sonne schon aufgegangen wäre!, dachte sie. Ganz allmählich setzte die Morgendämmerung ein, doch es war noch immer so dunkel, dass sie kaum wusste, in welche Richtung sie lief. Das Elendsviertel war so verwinkelt, dass sie den Eindruck hatte, sich im Kreis zu bewegen. Die hohen Gebäude ragten überall um sie herum auf und verdeckten den Himmel. Diese Gegend war einmal viel reicher gewesen; die verschatteten Fassaden der Häuser trugen ausgewaschene Ornamente und verblasste Farben. Auf dem Platz links vor ihr stand die alte, zerbrochene Statue eines Mannes auf

Weitere Kostenlose Bücher