Sturmklänge - Sanderson, B: Sturmklänge - Warbreaker
einem Pferd, vielleicht der Teil eines Brunnens oder…
Vivenna blieb stehen. Das zerbrochene Standbild eines Reiters. Warum erschien ihr das vertraut?
Denths Wegbeschreibung, dachte sie. Als er Parlin erklärt hat, wie er von dem sicheren Unterschlupf zum Speiselokal kommt. Jener Tag, der bereits mehrere Wochen zurücklag, erschien ihr jetzt so undeutlich und fern. Aber sie erinnerte sich an Denths Worte. Sie hatte Angst gehabt, Parlin könnte sich verlaufen.
Zum ersten Mal seit Stunden verspürte sie ein Gefühl der Hoffnung. Die Wegbeschreibung war einfach gewesen. Konnte sie sich daran erinnern? Sie versuchte es und ging zögernd und beinahe instinktiv weiter. Nach wenigen Minuten erkannte sie, dass die dunkle Straße, in der sie sich nun befand, vertraut auf sie wirkte. Es gab keine Straßenlaternen in den Armenvierteln, aber das Licht der Morgendämmerung reichte aus.
Sie drehte sich um, und dort, vor ihr, lag der sichere Unterschlupf, eingezwängt zwischen zwei größeren Gebäuden. Austre sei gesegnet!, dachte sie erleichtert, überquerte rasch die Straße und betrat das Gebäude. Der Hauptraum war leer. Eilig öffnete sie die Tür zum Keller, weil sie sich dort unten verstecken wollte.
Nach einigem Herumtasten fand sie bald neben der Treppe eine Laterne sowie Streichhölzer. Sie zog die Tür zu; sie war schwergängiger, als Vivenna angenommen hatte. Es war ein gutes Gefühl, auch wenn sie die Tür von dieser Seite nicht verriegeln konnte. Sie ließ sie unverschlossen, bückte sich und zündete die Laterne an.
Ausgetretene und gesplitterte Holzstufen führten hinunter in den Keller. Vivenna hielt inne und erinnerte sich daran, dass Denth sie vor dieser Treppe gewarnt hatte. Vorsichtig stieg sie nach unten. Bei jedem Schritt knirschte es, und Vivenna verstand, warum die anderen besorgt gewesen waren. Doch sie schaffte es unbeschadet nach unten. Am Fuß der Treppe rümpfte sie die Nase über den moderigen Geruch. Die Kadaver einiger kleinerer Wildtiere hingen an der Wand; jemand war vor kurzem hier gewesen, was ein gutes Zeichen war.
Der größte Teil des Kellers befand sich unmittelbar unter dem Boden des Hauptraumes im Erdgeschoss. Hier würde sie sich einige Stunden ausruhen, und wenn Denth in der Zwischenzeit nicht erschien, würde sie sich wieder hinauswagen. Und dann würde sie…
Sie blieb ruckartig stehen, und die Laterne in ihrer Hand schwang hin und her. Das zuckende Licht fiel auf eine vor ihr sitzende Gestalt, die den Kopf geneigt hielt, so dass ihr Gesicht im Schatten lag. Die Arme waren hinter dem Rücken zusammengebunden und die Fußgelenke an die Stuhlbeine gefesselt.
» Parlin?«, fragte Vivenna entsetzt und eilte an seine Seite. Rasch setzte sie die Laterne ab, dann erstarrte sie. Blut befand sich auf dem Boden.
» Parlin!«, rief sie lauter und hob seinen Kopf an. Seine Augen starrten blicklos geradeaus; das Gesicht war zerkratzt und blutig. Ihr Lebensgespür fand ihn nicht. Seine Augen waren tot.
Vivennas Hand zitterte. Entsetzt taumelte sie zurück. » O Farben«, murmelte sie. » Farben, Farben, Farben…«
Eine Hand fiel auf ihre Schulter. Sie kreischte auf und wirbelte herum. Eine große Gestalt stand in der Finsternis hinter ihr, halb von der Treppe verborgen.
» Hallo, Prinzessin«, sagte Tonk Fah und lächelte.
Vivenna taumelte rückwärts und wäre beinahe gegen Parlins Leiche gestoßen. Sie keuchte auf und fuhr sich mit der Hand an die Brust. Erst dann bemerkte sie die Kadaver an den Wänden.
Das waren keine wilden Tiere. Was sie in dem schwachen Licht ihrer Laterne zuerst für einen Fasan gehalten hatte, leuchtete nun grün auf. Es war ein toter Papagei. Ein Affe hing daneben; sein Körper war frisch aufgeschnitten worden. Der frischeste Kadaver aber war der einer großen Eidechse. Alle waren gefoltert worden.
» O Austre«, murmelte sie.
Tonk Fah trat vor, griff nach ihr, und Vivenna zwang sich endlich zu handeln. Sie wich zur Seite aus und entkam seinem Griff. Sie rannte um den großen Mann herum und hastete auf die Treppe zu. Sie kam nicht weit und stieß gegen einen Brustkorb.
Vivenna schaute auf und blinzelte.
» Wisst Ihr, was ich am Söldnerdasein vor allem hasse, Prinzessin?«, fragte Denth gelassen und ergriff ihren Arm. » Das Erfüllen von Rollenklischees. Jeder nimmt an, dass man uns nicht trauen kann. Und das kann man in der Tat nicht.«
» Wir tun das, wofür wir bezahlt werden«, sagte Tonk Fah und trat von hinten auf sie zu.
» Das ist nicht
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