Sturmkönige 01 - Dschinnland
bekäme.
Dabei hätte das Land kaum leerer sein können. Sie hatten die Berge des Kopet-Dagh noch in der Nacht hinter sich gelassen und folgten schon den ganzen Tag den südlichen Ausläufern des Elburzgebirges. Der Boden war karg und sonnenverbrannt, die Gipfel zu ihrer Rechten zerklüftet. Sie fanden abgestandenes Wasser, von dem sie nur hoffen konnten, dass es sie nicht todkrank machen würde. Von seinen früheren Reisen kannte Tarik Orte, an denen dürre Büsche mit trockenen Beeren wuchsen; sie waren noch nicht reif, aber einigermaßen nahrhaft. Aus Erfahrung wusste er, dass man mit ihrer Hilfe ein paar Tage überleben konnte.
Nirgends begegneten sie Dschinnen, und bald entdeckten sie den Grund.
»Siehst du das?« Er deutete nach links, nach Süden, wo sich die Hänge des Gebirges zu einer schneeweißen Ebene verflachten – den ausgedorrten Salzpfannen der Kavirwüste. Sabatea saß hinter ihm und folgte seinem Blick. »Kein Mensch kann dort überleben«, murmelte er. »Die Kavir war schon vor dem Ausbruch der Wilden Magie menschenleer. Nicht einmal Nomaden haben sich dorthin verirrt.«
In der Ferne, wo der Horizont flimmernd in den Himmel floss, hingen dunkle Schleier über dem Salz. Es hätten Wolkenschatten sein können. Nur dass in dieser Einöde keine Wolke am Himmel stand.
»Dschinne?«, fragte Sabatea.
Tarik nickte. »Sieht aus, als würden sie sich dort sammeln. Wahrscheinlich ziehen sie bald weiter nach Westen.« Er dachte kurz nach. »Zwischen der Kavir und Bagdad liegt das Zagrosgebirge. Sie können es nicht umgehen, aber ich vermute, dass sie eine Route nehmen, die viel weiter südlich liegt als unsere. Das Gebirge ist dort weniger breit als oben im Norden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Tausende von Dschinnen länger als unbedingt nötig in den Bergen aufhalten wollen. Zumal auf den höchsten Gipfeln noch Schnee liegen dürfte. Die Berge des Kopet-Dagh sind dagegen nur Hügel.«
»Klingt, als wären wir ausnahmsweise mal im Vorteil.«
»Vielleicht haben wir tatsächlich Glück. Wir werden das Gebirge ein bis zwei Tagesreisen weiter nördlich überqueren als sie. Der Weg durch die Berge ist dort fast doppelt so lang wie unten im Süden. Ich glaube nicht, dass sich da Dschinne herumtreiben.«
»Denkst du, sie ziehen nur aus dieser Richtung gegen Bagdad?«
Er schüttelte den Kopf. »Die Wüsten südlich von Bagdad sind ebenso voll von ihnen wie Khorasan oder die heißen Länder weiter westlich. Sie sind überall. Ich vermute, dass sich hier, in der Kavir, die Dschinne aus der Karakum und der Lutwüste weiter im Süden sammeln – das würde erklären, weshalb wir zwischen Samarkand und dem Kopet-Dagh so wenigen von ihnen begegnet sind. Wenn ihnen wirklich so viel an Bagdad liegt, dann werden sie es aus allen Richtungen in die Zange nehmen.« Er machte eine kurze Pause. »Bist du sicher, dass du noch dorthin willst? «
»Ja.«
»Du musst einen guten Grund dafür haben.«
Sie schwiegen wieder, während sie parallel zu den Bergen des Elburzgebirges nach Westen flogen, so hoch über den Hängen, wie es der Teppich erlaubte.
»Da!«, rief sie plötzlich und deutete auf eine Formation dunkler Punkte vor ihnen am Himmel. »Sind das Dschinne?«
Mit seinem einen Auge sah er längst nicht so scharf wie früher, aber einen Moment später gab sie sich selbst die Antwort.
»Das sind Vögel!« Ihre Stimme überschlug sich fast. »Echte Vögel, Tarik!« In Khorasan waren alle wilden Tiere von den Dschinnen ausgerottet oder vertrieben worden. Wahrscheinlich hatte Sabatea noch nie einen Vogel gesehen, der nicht in einem goldenen Käfig des Emirpalastes eingesperrt gewesen war.
»Ich wünschte, ich hätte einen dieser Dschinnbogen«, murmelte er. »Vielleicht könnte ich uns einen von ihnen zum Abendessen schießen.«
Mochte er so mürrisch sein, wie er wollte: Sie ließ sich ihre Euphorie nicht nehmen. Das war eine Seite an ihr, die er bislang noch nicht kennen gelernt hatte. Aber bald begriff er, dass jede Art von Ausgelassenheit, die sie empfand, immer auch ein Auflehnen war gegen ihre tief verwurzelte Melancholie, gegen Erinnerungen, die sie selbst hier draußen verfolgten. »Sie fliegen einfach irgendwohin«, sagte sie. »Wohin sie wollen.«
Er seufzte. »Woanders gibt es auch nur Beeren und Schlammwasser.« Er würde sie nach Bagdad bringen und sich dann auf die Suche nach Junis und Maryam begeben. So, wie er es geplant hatte.
Aber würde er sie allein lassen, wenn die Dschinne die
Weitere Kostenlose Bücher