Sturmkönige 01 - Dschinnland
Schmierfett wahr, den sie schon bei der Begegnung mit der Herde auf der Alten Bastion bemerkt hatte. Sie war drauf und dran, Tarik zu wecken. Aber dann legte das weiße Ross den Kopf schräg, blickte sie aus seinen dunklen Augen an – und spreizte eine Schwinge, als wollte es hinaus in die Nacht deuten.
Im ersten Moment hielt sie es für eine zufällige Bewegung, ein Strecken und Recken müder Glieder. Aus der Nähe betrachtet, verriet vieles an dem Ross, dass es künstlich erschaffen worden war. Der Körper aus Elfenbein war glatt, wie poliert, und die Gelenke an den Beinen und Schwingen hatten Ähnlichkeit mit denen einer Marionette. Sie knirschten leicht, als es den Flügel anlegte und dann abermals ausstreckte.
Es zeigte tatsächlich auf etwas, einen unsichtbaren Punkt hinter den Felsen. Und es gab keinen Zweifel, dass die Geste Sabatea galt.
Ein letzter Blick aus den wachen, klugen Augen. Dann wandte das Pferd sich um und trabte in die Richtung, in die es gedeutet hatte.
Sabatea zögerte. Tariks Züge zuckten noch immer, sein unbedecktes Auge bewegte sich hektisch hinter dem geschlossenen Lid. Sie entschied sich, ihn schlafen zu lassen. Er brauchte jede Minute Erholung, die er bekommen konnte, um sie heil nach Bagdad zu bringen.
Sie erhob sich und stieg aus der Senke. Das nächtliche Gebirge erstreckte sich in alle Richtungen, ein nachtfleckiges Auf und Ab, auf dessen höheren Regionen Schneekuppen das Mondlicht reflektierten.
Das Elfenbeinpferd lief voraus, ohne sich noch einmal nach ihr umzuschauen. Die Schwingen waren eng angelegt und bei flüchtigem Hinsehen fast unsichtbar. Plötzlich aber machte es einen Satz nach vorn und stieg mit drei, vier eleganten Flügelschlägen zu einem Felsen auf, den Sabatea zu Fuß nicht erreichen konnte. Dort legte es sich nieder und blickte erwartungsvoll zu ihr herab.
Sie verstand noch immer nicht, was das Ross von ihr wollte. Erst als sie einen weiteren Brocken umrundete, sah sie, was sich unterhalb des Felsens befand, auf dem das Pferd zur Ruhe gekommen war.
Inmitten eines Geröllhaufens kauerte der Ifrit und weinte bitterlich.
Der schwarzhäutige Gigant, jetzt fast zehn Meter hoch, schluchzte herzzerreißend, rieb sich die Augen mit den riesigen Pranken und schien in seinem Kummer weder das Elfenbeinpferd noch Sabatea wahrzunehmen.
Das Ross blickte von seinem erhöhten Standpunkt auf den riesenhaften Wunschdschinn herab, dann zu Sabatea.
»Was hat er?« Sie verspürte keine Furcht vor dem schwarzen Koloss, was weniger an ihm selbst als an der Zutraulichkeit des fliegenden Pferdes lag.
Der Ifrit hob den kahlen Schädel. Er schniefte lautstark und blinzelte sie an. Aus seinen Augen perlten Tränen, jede groß genug, um einen Eimer zu füllen.
»Menschin«, sagte er nur, schüttelte den Kopf und gab sich wieder ganz seiner Verzweiflung hin.
»Was ist mit dir?«, fragte sie.
»Weh«, klagte er.
»Hast du Schmerzen?« Sie konnte kaum fassen, dass sie diese Frage einem Dschinn stellte. Aber es war eine Tatsache, dass die Ifrit lange vor den blutrünstigen Dschinnfürsten und ihren Armeen existiert hatten, lange vor dem Ausbruch der Wilden Magie. Und dass sie niemals Feinde der Menschen gewesen waren.
Der Wunschdschinn deutete über die Schulter auf seinen Rücken. »Wehee«, wiederholte er betont.
Sie umrundete ihn langsam. Schließlich sah sie das Schwert, das unter seinem linken Schulterblatt steckte. Es war zu klein, um ihm ernsthaft gefährlich zu werden, aber sicherlich schmerzhaft – und steckte an einer Stelle, die der Dschinn mit seinen Pranken nicht erreichen konnte.
Sie sah zu dem Pferd auf. »Du willst, dass ich helfe?«
Das Elfenbeinross schnaubte, was alles Mögliche bedeuten mochte.
»Möchtest du, dass ich dir helfe?«, fragte sie den Ifrit. Sie war ziemlich sicher, dass dies derselbe Wunschdschinn war, der ihnen – ohne es zu wissen – den Weg aus der Höhle gewiesen hatte.
»Wer seid?«, gab er zurück.
»Was? «
»Ihr habt Fürsten getötet. Habe ich mit meinen Augen gesehen. Amaryllis in Feuer geworfen. Mensch hat das getan. «
Sinnlos, das zu leugnen. »Ja.«
»Gut«, sagte der Ifrit.
»Dass Amaryllis tot ist?«
»Ja«, schniefte der Koloss. »Dass er tot ist.«
Sie atmete auf. »Lass mich an deinen Rücken. Ich ziehe das Schwert heraus.«
Er drehte sich halb um, ein schwebender Oberkörper ohne Beine, und wandte ihr den muskulösen Rücken zu. Die Haut war von zahllosen Narben übersät, Peitschenhiebe und Schnittwunden.
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