Sturmkönige 01 - Dschinnland
Methode, einem Rennen gefährliche Würze zu verleihen.
Wie alle Teppichreiter war Tarik maskiert, sein Kopf mit dunklen Tüchern umwickelt, die nur einen Schlitz um die Augen unbedeckt ließen. Die verborgenen Wegposten, die auf Dächern und in dunklen Fensterlöchern jeden Abschnitt des Rennens überwachten, erkannten die Teilnehmer an Zeichen, die sie auf Rücken und Brust trugen. Manche schmückten sich mit brüllenden Löwen, Falkenköpfen oder züngelnden Schlangen. Tariks Signum war ein schlichter Kreis, den eine Linie in zwei Hälften teilte. Irgendwer hatte einmal einen Weinkelch vorgeschlagen. Tarik hatte dem Mann die Zähne eingeschlagen: erst mit den Fäusten, dann mit einem Weinkelch.
Weit vor ihm öffnete sich die Gasse zu einer breiten Straße, die zum Palast des Emirs führte. Hinter den trutzigen Festungsmauern regierte Kahraman ibn Ahmad über Samarkand als Stellvertreter des Kalifen von Bagdad. Der Emir herrschte nach eigenem Gutdünken, und es war eine Herrschaft der Verbote. Der Kalif Harun al-Raschid war hier nicht mehr als ein Name; sein Arm reichte schon lange nicht mehr von Bagdad bis nach Samarkand. Das Totenreich der Karakumwüste trennte die beiden Städte. Seit einem halben Jahrhundert herrschten dort draußen die Dschinne. Sie hatten Samarkand zu einem Gefängnis gemacht, aus dem kaum jemand entkommen konnte. Nicht einmal Tarik.
Einmal mehr drängte er die Erinnerungen zurück. Selbst für ihn bedeutete die Palastpassage eine Herausforderung, und wenn er dabei eines nicht gebrauchen konnte, dann diese Bilder in seinem Kopf. Bilder vom Dschinnland. Von Maryam.
Tarik fegte hinaus aus der Gasse, ins Fackellicht der breiten Straße. Er konnte den Palast jetzt in der Dunkelheit erahnen.
Hinter ihm ein Flattern.
Er fluchte, als ein Schatten seinen eigenen kreuzte. Ein zweiter Teppich holte auf. Ein maskierter Reiter wie er selbst, eine Hand ins Muster des Teppichs versenkt, die andere zur Faust geballt. Ein Knie im Ausfallschritt auf dem gewebten Boden, das zweite vor der Brust angewinkelt. In der gleichen Haltung wie Tarik. Nicht etwa weil der andere Reiter ihn nachahmte – beide hatten vom selben Meister gelernt.
Von Jamal al-Abbas. Ihrem Vater.
»Junis?« Die Frage war so überflüssig wie sein Erstaunen darüber, dass sein jüngerer Bruder hier auftauchte. In dieser Nacht, an diesem Ort. Genau neben ihm – und nur noch wenige Steinwürfe von der Palastwand entfernt.
Schatten füllten Junis’ Sehschlitz, darin schimmerten hellwache Augen. Längst hatten sie erfasst, worauf es ankam.
Das Ziel. Seinen Gegner. Alle Möglichkeiten.
Abrupt scherte Junis zur Seite aus, holte Schwung – und rammte Tariks Teppich mit der mörderischen Wucht eines Streitwagens.
Die Brüder
Tarik wurde zur Seite geschleudert. Nur um Haaresbreite verfehlte er das Gestänge einer hölzernen Balustrade. Einige Herzschläge lang roch er Räucherwerk und den betörenden Duft von Rosenwasser. Beides hüllte ihn ein, während er die Lehmkante eines offenen Schlafzimmerfensters streifte, kurz ins Trudeln geriet, dann die Gerüche und die eigene Unsicherheit hinter sich ließ. Mit einem stummen Befehl an den Teppich schwenkte er zurück auf seinen alten Kurs, auf eine Höhe mit Junis, der zu einem neuen Kollisionsmanöver ansetzte.
Es war ein Fehler, den gleichen Trick ein zweites Mal anzuwenden. Der erste Versuch hatte Tarik aus der Fassung gebracht, weil er mit jedem anderen, aber nicht mit seinem Bruder gerechnet hatte. Der zweite nötigte ihm nur ein mitleidvolles Lächeln ab, als er dem Angriff mühelos auswich, seinen Teppich beschleunigte und abermals die Führung übernahm.
Noch sechshundert Schritt bis zum Palast. Wenn sie dieses Spiel von Rammen und Ausweichen fortführen wollten, würden die Soldaten auf den Zinnen vorgewarnt sein und sie mit gespannten Bogen erwarten. Womöglich legten sie bereits ihre Pfeile auf, zogen die Sehnen durch. Warteten ab.
»Du bist ein Narr!«, fauchte Tarik über die Schulter und vertraute darauf, dass der Gegenwind die Worte an Junis’ Ohr tragen würde. »Du glaubst, du hast dazugelernt? Jemand wird umkommen, wenn du nicht mit diesem Irrsinn aufhörst.«
Er hörte das Flattern in seinem Rücken lauter werden. Ein anderer hätte den Unterschied nicht wahrgenommen. Aber Tarik las die Laute, die ein Teppich auf den Winden verursacht, wie Pferdezüchter das Schnauben ihrer Rösser.
An einem Wettkampf mit Junis lag ihm ebenso wenig wie an diesem
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