Sturmkönige 01 - Dschinnland
dann fortgerissen von ihm oder er von ihr.
Gepackt, geschleift, gestoßen. Über Marmorböden, Treppen hinunter, ein endloser Weg, immer weiter. Dazwischen Gebrüll und noch mehr Schläge. Beschimpfungen. Gelächter. Eine Flut aus Beleidigungen, dann Warnungen. »… nie mehr zurück…« – »… so weit du kannst…« – »… sterben, wenn wir dich noch mal hier sehen…« Er schrie Sabateas Namen, jetzt wirklich wie ein Wahnsinniger, aber sie war längst nicht mehr bei ihm.
Sie zerrten ihn ins Freie, ohne seinen Teppich, über Pflaster und Staub, auf einen Karren. Die Helligkeit saß noch immer in dem fremden Auge unter der Binde fest, überlagerte die Umgebung, die er mit dem anderen vorbeiwabern sah. Alles ohne Substanz, wie in Eis geritzt, das in der Hitze zerschmilzt.
Schließlich durch einen Torbogen, kaum mehr als ein huschender Schatten. Wieder wurde er gepackt, von dem Karren geworfen, blieb halb blind im Staub liegen, sah die Räder an sich vorüberrollen, hörte zum Abschied wieder Flüche und Drohungen. Krüppel! Krüppel! Krüppel!
Er rollte sich auf den Rücken und wartete, dass ihn die Wirklichkeit einholte. Die Wirklichkeit oder der Tod.
Eines von beidem würde ihn finden, hier im Staub, in der Gosse.
Er wartete. Wartete weiter.
Dann wurde es Nacht.
Der Schleier fällt
Sie wuschen sie und hüllten sie in edle Gewänder. Sabatea ließ es mit steinerner Miene über sich ergehen. Ihre Gedanken kreisten um Tarik, wo immer er jetzt sein mochte.
Sie hatte ihm gerade noch die Binde über das linke Auge ziehen können, bevor man sie beiseitestieß, ihn packte und davonschleppte. Augenblicke zuvor, als er zu schreien begonnen hatte, waren Bittsteller und Bedienstete auseinandergesprungen. Der alte Berater, Khalis, hatte sich schützend vor den Kalifen geschoben, während sich die Männer der Falkengarde auf den tobenden Tarik stürzten. Ein Besessener!, hatte jemand gerufen. Ein Wahnsinniger! Ein Dschinn in Menschengestalt!
Einen Augenblick lang wurde ihr schwindelig. Sie musste sich abstützen, während eine Dienerin wortlos die Schnürung am Rücken ihres schneeweißen Kleides schloss. In den privaten Gemächern des Kalifen durften sich Frauen unverschleiert bewegen, als reiche der Blick Allahs nicht durch diese Mauern. Das Mädchen, das sie ankleidete, war jung und sehr schön, wie fast alle Bediensteten, die sich lautlos durch diese Hallen und Gänge bewegten.
Das Herz der herrschaftlichen Gemächer war ein Irrgarten aus hauchdünnen Vorhängen, Stellwänden aus geflochtenen Palmblättern und aufwendigen Bepflanzungen. Wasser sprudelte über gekachelte Wände, aus Springbrunnen und in verspielte Tümpel inmitten künstlicher Haine. Sklaven pumpten es über ein Netz aus Leitungen aus den Bewässerungskanälen, die Bagdad und sein Umland durchzogen.
Sabatea hatte keinen Blick für die üppige Schönheit des Kalifenpalastes. Niemand wollte ihr sagen, was mit Tarik geschehen war. Warum endeten alle Menschen, die ihr etwas bedeuteten, im Kerker oder auf dem Richtblock des Henkers?
Sie befand sich in einer Kammer, in deren Mitte ein rundes, hüfthohes Wasserbecken auf Säulen ruhte. Der Raum lag in der höchsten Ebene des Palastes, durch eine Öffnung in der Decke ergoss sich das letzte Glühen der Abendsonne. Tagsüber spiegelte sich die Helligkeit auf dem Wasser und beschien von unten das Gesicht derjenigen, die sich darüber beugten. Bei Einbruch der Nacht waren Kerzen in den Halterungen rund um das Becken entzündet worden. Als Sabatea auf das Wasser hinabblickte, warfen die Flammen sanftes Goldlicht über ihre Züge. Dann fiel eine der Tränen von ihrer Wange und erschütterte die Wasseroberfläche; ihr Spiegelbild zerstob und setzte sich zu einem zitternden Zerrbild zusammen, das getreuer wiedergab, wie sie sich fühlte, als das bemalte Puppengesicht, unter dem die Dienerinnen ihren Kummer und ihre Furcht hatten verbergen wollen.
Das Mädchen zog sich von ihr zurück und glitt ohne ein Wort aus der Kammer. Sabatea blieb am Rand des Spiegelbeckens stehen und sah zu, wie die Ringe auf dem Wasser ihre Züge entstellten. Das dort unten war die wahre Sabatea. Sie hatte Tarik und Junis belogen, um hierher zu gelangen. Sie würde noch weit Schlimmeres tun, um zu verhindern, dass daheim in Samarkand ein Mensch sterben musste, der ihr etwas bedeutete. Um zu verhindern, dass Kahraman seine Drohung wahrmachte. Um inmitten dieser Hölle aus Dschinnen und Verrat und ewigen Kriegen ein ganz
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