Sturmkönige 01 - Dschinnland
nichts, dass er offenbar bei schlechter Gesundheit war. Er saß aufrecht und stolz auf seinem Thron, doch seine Finger waren um die gepolsterten Armlehnen gekrallt, und sein Gesicht hatte die Farbe verdorbenen Fischs. Er strahlte noch immer eine imposante Machtfülle aus, jene Aura, die Tarik schon vom anderen Ende des Audienzsaales aus gespürt hatte. Aber da war noch etwas anderes, vielleicht nichts Körperliches, so, als zittere die Luft um ihn immer dann, wenn er nicht durch Worte oder Gesten seine Stellung an der Spitze des Reiches untermauerte.
Der zweite Mann, den Tarik schon von Weitem bemerkt hatte, stand schräg hinter dem Thron, keinen Schritt von Harun entfernt. Tarik hatte ihn erst für einen jener Speichellecker gehalten, die sich zu allen Zeiten an die Seite der Herrschenden drängen. Aus der Nähe aber wurde er eines Besseren belehrt.
Der Mann in der nachtblauen Robe war so alt, dass er der Vater des Kalifen hätte sein können. Er war groß und kraftvoll gebaut, und er hatte ungewöhnlich lange, schmale Finger. Sein Haar war weiß, ebenso der lange Bart, der ihm bis auf die Brust fiel, über mehrere Ketten hinweg, die in silbernen und goldenen Ringen auf dem dunklen Blau seines Gewandes lagen. Auch er trug einen Turban, niedriger als der Haruns und ohne Federschmuck, dafür mit glitzernden Diamanten besetzt, genau wie der breite Seidenschal um seinen Hals und seine Schultern; beides erweckte den Eindruck, als schwebe sein Gesicht inmitten eines sternenklaren Nachthimmels.
Zehn Schritt vor dem Thron gab der Hauptmann Sabatea und Tarik zu verstehen, auf die Knie zu fallen. Er selbst und seine Soldaten taten es ihnen gleich, und so kauerten sie bald alle am Boden, die Stirn bis auf den Teppich gesenkt.
»Erhebt euch«, ertönte eine Stimme. Es war die des alten Mannes. Der Kalif winkte ihn heran, flüsterte ihm etwas zu, worauf dieser langsam nickte. Erneut wandte er sich an die Besucher. »Vorkosterin«, rief er, »und auch du, Schmuggler – tretet näher!«
Mit seinem einen Auge blickte Tarik besorgt zu Sabatea, die angespannt durchatmete, ihm zunickte und sich dann in Bewegung setzte. Nebeneinander näherten sie sich dem Thron. Der Hauptmann und seine Falkengardisten blieben zurück, noch immer am Boden, die Häupter geneigt. Tarik gab sich keinen Illusionen hin: Hinter den Schießscharten in den Wänden waren ein Dutzend Pfeile auf sie gerichtet, folgten jeder ihrer Bewegungen, jedem einzelnen Schritt.
Vor den Stufen der Thronempore blieben sie auf ein Handzeichen des Mannes in Nachtblau stehen.
»Dein Name ist Sabatea?«
Es waren die ersten Worte, die Tarik den Kalifen sprechen hörte. Aus der Nähe war die schwache Verfassung des Herrschers noch deutlicher zu erkennen. Seine Stimme aber klang volltönend und warm.
»Ja«, sagte Sabatea. »Ich bin Eure untertänigste Dienerin.«
»Vorausgesetzt, ich nehme Kahramans Geschenk an«, bemerkte der Kalif und lächelte.
»Falls Ihr mir diese Gnade erweist«, bestätigte Sabatea.
»Für dich mag es in der Tat eine Gnade sein, denn ich zweifle nicht, dass dein Leben hier erfreulicher sein würde als am Hof meines ehrenwerten Statthalters. Auch wenn uns seit langem keine Flüchtlinge aus Samarkand mehr erreicht haben, so erhalte ich doch regelmäßig Nachricht über das, was dort geschieht.« Haruns Blick wanderte von Sabatea zu Tarik. »Du, als Mann aus dem einfachen Volk, erweise mir die Ehre deiner Meinung.«
»Ich bin nur… der Begleiter der Vorkosterin«, sagte Tarik und überlegte, ob es wohl angemessener wäre, dem Blick der dunklen Augen auszuweichen. Trotzdem hielt er ihnen stand.
»Ein Schmuggler, ich weiß. Und der Sohn eines Schmugglers, so wurde mir berichtet. Aber sag mir: Wie sind die Zustände in Samarkand, meiner Enklave im fernen Osten des Reiches?«
»Emir Kahraman regiert mit harter Hand«, antwortete Tarik.
»Das Volk liebt ihn nicht?«
Er musste jetzt vorsichtig sein, bevor er sich um Kopf und Kragen redete. »Das Volk kennt ihn nicht anders. Kahraman herrscht schon seit vielen Jahren.«
»Manch einer würde behaupten, dass ich der Herrscher bin in Samarkand und der Emir nur mein Auge und meine Stimme.«
Einige der Höflinge lachten nervös, doch der alte Mann neben dem Thron blieb todernst. Sein Blick ruhte düster auf Tarik, so als missbillige er zutiefst, dass Harun auch nur das Wort an ihn richtete.
»Gewiss, Herr«, sagte Tarik. »Kahraman ist Euer Diener, so wie ich und jeder hier.« Eine Pause, dann: »Manch
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