Sturmkönige 01 - Dschinnland
einer fragt sich jedoch, ob er selbst das genauso sieht.«
Ein Raunen ging durch die Menge der Umstehenden, begleitet von empörten Ausrufen. Der Mann neben dem Thron hob eine Hand, und sofort kehrte Schweigen ein. Täuschte Tarik sich, oder sah er zum ersten Mal die Andeutung eines Lächelns auf dessen Gesicht?
»Vorkosterin«, wandte der Kalif sich wieder an Sabatea, »teilst du die Ansicht deines Begleiters?«
»Der Emir ist ein Mann harter Worte und Taten, mein Gebieter.«
Harun stieß ein leises Seufzen aus, während sich seine Finger unverändert heftig an die Armlehnen klammerten. »Wir werden bald noch ausführlicher über ihn sprechen, Sabatea. Dein Ruf ist dir vorausgeeilt. Das Geschenk, das er mir anbietet, ist großzügig, und ich will es gerne annehmen. Von heute an sollst du meine Speisen kosten.«
Sie verneigte sich tief. »Ich danke Euch, Herr.«
»Zuvor aber möchte ich dein Gesicht sehen, Sabatea. Du hast außergewöhnliche Augen. Lass uns herausfinden, ob der Rest ebenso erstaunlich ist.«
Tarik wagte nicht, den Kopf zu ihr umzuwenden. Stattdessen beobachtete er sie aus dem Augenwinkel.
Sie löste die Seidenschärpe mit einer fließenden, fast tänzerischen Bewegung und blickte dem Herrscher des Morgenlandes mit erhobenem Kinn entgegen. Abermals drang Flüstern aus den Reihen jener, die nahe genug standen, um ihr Antlitz zu sehen.
Harun hob eine Augenbraue. »Du bist sehr schön, Vorkosterin.«
»Ich bin schmutzig von der langen Reise, und mein Körper ist voller blauer Flecken. Ich will mich für Euch waschen, Herr, und ich hoffe, Eure Augen danach nicht mehr mit Staub und Schrammen zu beleidigen.«
Erneut flüsterte der Kalif hinter vorgehaltener Hand etwas ins Ohr des alten Mannes, wartete sein Nicken ab und wandte sich wieder an Tarik.
»Du hast dieses Mädchen sicher durchs Dschinnland an unseren Hof geleitet, Tarik al-Jamal. Dafür gebührt dir unser Dank.«
Tarik wusste genau, was von ihm erwartet wurde. »Mein Leben für die Ehre meines allmächtigen Gebieters.«
»Man hat mir berichtet, dass du dem Dschinnfürsten der Hängenden Städte begegnet bist.«
»Ich sah ihn sterben, Herr.«
»Es heißt, dass du behauptest, ihn getötet zu haben.«
»Tatsächlich«, kam Sabatea Tarik zuvor, »war ich diejenige, die das behauptet hat. Und es ist die Wahrheit. Dieser Mann hat den verfluchten Dschinnfürsten in die Flammen eines brennenden Rochnestes gestoßen.«
Rumoren und Wispern unter den Höflingen.
Tarik blinzelte, als er einen Stich an der Rückseite seines bandagierten Auges spürte. Der Schmerz kam unerwartet, nur für einen kurzen Moment.
»Ist das wahr?«, fragte der Kalif ihn.
»Ja, mein Gebieter.« Er wartete darauf, dass das Stechen zurückkehrte. Seine Stimme schwankte kaum merklich, und das entging den beiden Männern dort vorne keineswegs.
»Wir müssen auf euer Wort vertrauen«, erklärte der Kalif. »Mit Freude hören wir die Kunde von jedem einzelnen Dschinn, der nicht mehr gegen Bagdad ziehen kann. Uns steht ein Krieg bevor. Wirst auch du für uns in die Schlacht ziehen, Tarik al-Jamal?«
»Ich bin Euer Diener, Herr.«
Haruns Mundwinkel zuckten. »Die Vorkosterin soll gewaschen und eingekleidet werden. Bringt sie später in meine Gemächer, damit wir unser Gespräch über meinen treuen Statthalter fortsetzen können.«
Sabatea senkte nur demütig das Haupt.
»Was dich angeht, Tarik al-Jamal, so gibt es noch eines, das ich von dir wissen möchte.«
Eine unsichtbare Hand wühlte sich in Tariks Magengrube. Mit klopfendem Herzschlag wartete er ab.
Harun beobachtete ihn genau. »Wie, so frage ich mich, hast du wohl dein linkes Auge verloren? Es ist noch nicht lange her, nicht wahr? Khalis, mein treuer Berater« – er nickte in die Richtung des Alten in Nachtblau – »hat es an deinem Gang bemerkt und an der Art, wie du deine Umgebung… nun, im Auge behältst.«
Es war nicht als geschmackloser Scherz gemeint, und niemand lachte. Im Saal herrschte atemlose Stille.
»Ist es beim Kampf mit den Dschinnen geschehen?« Harun beugte sich vor. »Oder sind vielleicht die Sturmkönige dafür verantwortlich?«
Alles in Tarik schrie, dass dies eine List war, um ihn… ja, was? Als Verbrecher zu enttarnen? Nicht nötig, denn jeder hier wusste, dass er ein Schmuggler und Sohn eines Schmugglers war. Was also sollten diese Fragen? Er beschloss, bei der Wahrheit zu bleiben.
»Ich bin den Sturmkönigen zum ersten Mal in den Hängenden Städten begegnet, Herr. Ich kann
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