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Sturmkönige 01 - Dschinnland

Sturmkönige 01 - Dschinnland

Titel: Sturmkönige 01 - Dschinnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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aufschwang.
    »Du?«
    Keine Empörung, nicht einmal Wut. Nur diese eine kalte Silbe.
    »Wie geht es dir?«, fragte er.
    Junis war im Halbdunkel kaum zu erkennen. Drinnen konnten nicht mehr als zwei Kerzen brennen, vielleicht nur eine. Wärme zog über seine Schultern ins Treppenhaus, es roch nach Schweiß und etwas anderem, das Tarik bekannt vorkam. Wahrscheinlich hatte sein Bruder im Bett gelegen. Kein Wunder, nach dem Sturz.
    Junis stand da mit nacktem Oberkörper. Sein schulterlanges schwarzes Haar hing ihm in die Stirn. Er machte keine Anstalten, den Türspalt freizugeben und ihm Einlass zu gewähren. Auch das war keine Überraschung. »Entschuldige, dass ich noch am Leben bin. Bist du hergekommen, um den Rest zu erledigen?«
    »Lass mich rein.«
    »Warum sollte ich das tun?«
    Tarik presste ungehalten eine Handfläche gegen die Tür. »Weil du Blut von meinem Blut bist und deinen großen Bruder liebst und respektierst.« Er schob den Türflügel kurzerhand nach innen und trat an Junis vorbei ins Innere.
    Das Quartier war ein einzelnes Zimmer mit zwei schmalen Fenstern. Zwei offene Truhen standen an den Wänden, eine voll mit Pergamentrollen und Landkarten aus Schweinsleder. Tarik erkannte sie auf Anhieb; sie hatten ihrem Vater gehört. Bisher war er davon ausgegangen, dass sie in einem Sack in seiner eigenen Kammer steckten, gut verschnürt und seit Jahren unbenutzt. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass Junis sie gestohlen hatte, womöglich schon vor langer Zeit. Sein Ärger darüber hielt sich in Grenzen. Sie waren beide Söhne Jamals, und Junis hatte wohl ein Anrecht darauf. Freiwillig hätte Tarik sie ihm nicht gegeben, ihr Diebstahl war nur konsequent. Zorn verspürte er nur auf sich selbst, weil er sich fragte, wer wohl noch alles unentdeckt in seinem Zimmer ein- und ausgegangen war. Zumal er vor einem halben Jahr einen Beutel mit angesparten Dinaren vermisst hatte. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er ihn womöglich ebenfalls in Junis’ Truhe finden würde.
    Sein Bruder zeigte keine Reue, als er Tariks anklagenden Blick bemerkte. Eine hässliche Schramme auf Junis’ Stirn war ein Anzeichen für das, was letzte Nacht geschehen war. Die Kruste hatte sich gelöst, weil seine Haut mit Schweiß bedeckt war. Hatte er Fieber? Außerdem waren da drei weitere blutige Striemen an seinem Hals. Sie sahen aus, als stammten sie von Fingernägeln. Tariks Blick fiel auf das zerwühlte Bett.
    »Ich wollte dich nicht bei deiner Genesung stören«, bemerkte er.
    Junis hielt unentschlossen die Kante des Türflügels in der Hand. Schließlich schob er ihn zu. Kein Wort über den Inhalt der Truhe. Beiden war klar, dass der Diebstahl ihr Verhältnis schwerlich verschlechtern konnte; nach unten gab es längst keinen Spielraum mehr.
    »Du stinkst nach saurem Wein«, sagte Junis.
    »Vater hat die Hälfte dieser Karten gezeichnet, während er nach Wein und Schlimmerem stank.«
    »Aber anschließend hat er sie benutzt und sich nicht feige in einem Loch verkrochen.«
    »Warum legst du es immer darauf an, dass man dir die Zähne einschlägt? Was ist das da in deinem Kopf, das anderen Leuten fehlt?«
    »Mut?«
    Tarik lachte leise. Er ging zu einem der Fenster und stieß die hölzernen Läden nach außen. Die anbrechende Nacht war noch immer warm und schwül, aber im Vergleich zur Luft in der Kammer erschien sie ihm erfrischend. »Kein Wunder, dass du hier drinnen ins Schwitzen gerätst.«
    »Bist du deshalb hergekommen? Um aufzuräumen?«
    »Das Geld, das du gestern Abend verloren hast… Besteht wohl die Möglichkeit, dass ein Teil davon einmal mir gehört hat?«
    »Da ich es durch deine Schuld verloren habe, spielt das wohl keine Rolle mehr.«
    Vernunft war keine von Junis’ Stärken, aber er hatte ein Gespür für unumstößliche Tatsachen. Vielleicht auch für günstige Gelegenheiten. Gestern beim Rennen hatte er eine beim Schopf packen wollen, die ihm seine Geldsorgen und Tarik vom Hals schaffen sollte. Seine zweite Hoffnung musste das in Ölhaut gewickelte Bündel in einer Ecke der Kammer sein, nicht größer als ein Neugeborenes.
    Tarik hatte selbst mehr als einmal chinesisches Drachenhaar nach Bagdad geschmuggelt. Die Webereien benötigten es, um fliegende Teppiche herzustellen. Er kannte die immer gleiche Größe der Ballen, die von den Händlern aus dem Osten durch das Gebirge nach Samarkand gebracht wurden.
    Dieses Bündel war Junis’ große Chance, sich einen Namen als Schmuggler zu machen. Eine Chance, die Tarik ihm

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