Sturmkönige 01 - Dschinnland
rauchgeschwängerten Plätzen. Unter einem abgestorbenen Maulbeerbaum tanzte ein Mädchen zum Schlag einer Trommel. An jedem anderen Abend hätte Tarik sie als schön empfunden, grazil und feurig, doch im Vergleich zu Sabatea wirkte sie plump, ihre schattenfleckige Nacktheit ordinär. Die Nachtluft war ölig und schwer vom Pechgeruch der Fackeln, dem Schweiß der Betrunkenen, der anzüglichen Leidenschaft der Tänzerin. Jemand sprang auf und warf sie sich über die Schulter. Der Mann übertönte ihren schlecht gespielten Protest mit Gelächter, als er sie forttrug.
Andere Mädchen buhlten in Hauseingängen um Aufmerksamkeit. Ihre Schleier waren Teil einer Maskerade, kein Ausdruck ihres Glaubens. Mit dem Auftauchen der Dschinne war die Verehrung Allahs, die den Menschen Khorasans einst von den Eroberern aus Bagdad aufgezwungen worden war, abgeklungen. Fünf Jahrzehnte später glaubte in Samarkand wieder jeder, wonach ihm der Sinn stand. Vor allem der Feuerkult des Zarathustra hatte eine spektakuläre Auferstehung erfahren.
Maryams Gott war die Freiheit gewesen, auf die sie in Bagdad gehofft hatte.
Tariks Gott war mit ihr gestorben.
Das Säuseln zahlloser Glöckchen hing in der Luft. Die Mädchen trugen sie an den Fußgelenken, manche auch an Armreifen. Chinesische Lampions spendeten flackerndes Halblicht, wo es zu eng war für offene Fackeln. In ihrem Schein schmiegten sich Körper katzenhaft aneinander, wiegten sich zur Musik der klingenden Fußschellen.
Tarik schenkte niemandem einen zweiten Blick, ignorierte gehauchte Versprechungen und das kalte Feuer berechnender Blicke. Am Ende einer Gasse erwog er, die Abkürzung über einen Hinterhof zu nehmen. Da kroch eine silbrige Schlange auf seine Füße zu, hob den spitzen Kopf und zischte: »Nimm diesen Weg, nimm diesen. Das ist guter Rat, der beste. Kurz ist der Weg durch das Dunkel, und schnell erreichst du dein Ziel.«
Er machte nicht den Fehler, nach dem Tier zu treten. Das Gift der Silberschlangen war nicht tödlich, aber es brannte wie Säure. Wo Menschen hingingen, um den Lockungen ihrer Leidenschaft zu folgen, waren die sprechenden Schlangen so verbreitet wie Ratten. Sie machten sich einen Spaß daraus, falschzüngige Ratschläge und tückische Empfehlungen zu geben – tatsächlich hörte man sie niemals etwas anderes sagen. Wenn diese Schlange ihm riet, den Weg über den dunklen Hof zu nehmen, so stand zu befürchten, dass ein Dieb oder Messerstecher in den Schatten lauerte. Und weil ihr schlechter Rat so berechenbar war, machte ihn das beinahe schon wieder zu gutem Rat. Tatsächlich vermutete manch ein Gelehrter, dass dies die wahre Bestimmung der Silberschlangen war – Gutes zu tun unter der Maske des Bösen.
Tarik hörte Atemzüge im Dunkeln, als er am Zugang zum Hof vorüberhuschte. Ohne allzu große Eile, aber mit zügigen Schritten schlug er den längeren Weg ein. Die Schlange zischelte hinter ihm am Boden, aber als er zurücksah, war sie verschwunden.
Entlang eines schmalen Wasserkanals, wie es sie viele gab in Samarkand, erreichte er endlich die Straße der Messerschleifer. Hinter Junis’ Fensterläden flackerte Kerzenschein. Sein Quartier lag im zweiten Stock eines Steinhauses. Es war älter als viele der umliegenden Lehmbauten. Die rissigen, lückenhaften Läden vor den Fenstern boten kaum Schutz vor den Sandwinden aus der Wüste. Die Haustür stand einen Spalt weit offen, der Riegel war herausgebrochen.
Er stieg die schmale Treppe hinauf, die gleich hinter dem Eingang nach oben führte. Hinter einer Tür im ersten Stock erklangen Stimmen. Ein Mann und eine Frau stritten sich heftig, sie klangen wie Vater und Tochter. Im Dunkeln huschte eine Katze über die Stufen zum Obergeschoss. Es gab kein Geländer, nur ein altes Halteseil, das bis auf Knöchelhöhe durchhing.
Vor Junis’ Tür blieb er stehen. Er hatte nicht vergessen, was ihn hergeführt hatte, und doch musste er sich für einen Moment konzentrieren und auf seinen Zorn besinnen. In seinem Mund war noch immer ein säuerlicher Geschmack von Amids billigem Wein. Er wünschte sich, er hätte einen Zug aus der Wasserpfeife genommen, die ihm ein alter Mann in den Gassen angeboten hatte.
Ihm wurde erst bewusst, wie heftig sein Klopfen gewesen war, als der Streit im Stockwerk unter ihm aussetzte.
Dort unten wurde die Tür geöffnet, vermutlich ein Blick hinausgeworfen, dann scharrte ein Riegel. Einen Moment lang war Tarik so abgelenkt, dass ihm beinahe entging, dass die Tür vor ihm
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