Sturmkönige 01 - Dschinnland
Ruf von Kahramans Vorkosterin war legendär, sie war der kostbarste Besitz des Emirs. Seit ihrer Geburt hatten seine Alchimisten ihr tägliche Giftrationen verabreicht, bis – so erzählte man sich – in ihren Adern Schlangengift floss statt Blut. Seither bewirkte keine Vergiftung bei ihr etwas Schlimmeres als starke Übelkeit.
Tarik hatte zu viel Wein getrunken, noch dazu den schlechtesten. Aber er war nicht benommen genug, um nicht auf den naheliegendsten aller Einfälle zu kommen. In Gedanken zog er eine Verbindung zu Sabatea, stutzte, runzelte die Stirn – und verwarf die Idee wieder. Ein Juwel wie die Vorkosterin hielt der Emir zweifellos in einem goldenen Käfig. Jahrelang war sie ein Garant für sein Leben gewesen und nun offenbar ein Gewicht, dass er in die Waagschale seines politischen Überlebens legte. Auf gar keinen Fall würde er zulassen, dass sie durch einen Spalt in der Palastmauer ein und aus ging, wie es ihr beliebte.
Tarik hatte Kahraman immer für einen machtgierigen Dummkopf gehalten. Nun aber fragte er sich, ob der Herrscher von Samarkand den Verstand verloren hatte. Seit mehr als fünfzig Jahren versperrte das Dschinnland den Weg nach Bagdad wie auch nach Norden und Süden. Einzig die östliche Seidenstraße nach China war noch offen, der Weg durchs Gebirge. Aus irgendeinem Grund mieden die Dschinne große Höhen. Ihre Heimat waren die flirrenden Wüsten. Sie reisten mit den Staubstürmen, nisteten in Trockenheit und Leere.
Tarik dachte an die vergitterten Wagen im Palasthof. Sie hatten ausgesehen wie Verliese auf Rädern. Die Reisenden in ihrem Inneren würden sich während der Fahrt durch das Dschinnland wie Gefangene fühlen.
Er gab ihnen keine drei Tage.
Wer hinaus in die Einöde jenseits der Wälle zog, war zuerst bezaubert von dem ursprünglichen Land und der klaren Luft. Schnell aber wurde man gewahr, dass tausendfacher Tod der Grund für beides war. Bald stieß man auf die Ruinen der ersten Dörfer, auf die Gruben mit mumifizierten Leichen, die endlosen Reihen aufgepflanzter, vom Wüstenwind polierter Schädel.
Danach kamen die Dschinne. Sie kamen immer.
Dass die Menschen in Samarkand dennoch in Aufruhr und heller Vorfreude waren, lag nicht etwa daran, dass es ihnen um die Vorkosterin und ihre Reise durchs Dschinnland ging; viele hätten dem Emir mit eigener Hand Gift ins Essen gemischt, hätte man ihnen die Gelegenheit dazu geboten.
Aber Feste waren in der Stadt rar gesät. Die Spitzel der Ahdath waren überall. Versammlungen wurden rasch und nicht selten mit Gewalt aufgelöst. Seit Jahren schon brodelten in der Bevölkerung Unzufriedenheit und Hass auf die Obrigkeit. Nichts fürchtete der Emir mehr als einen Aufstand. Eine Feier war seine Art, dem entgegenzuwirken. Zuckerbrot für die verbitterten Massen.
Die Menschen, die Kahraman mit der Karawane nach Bagdad schickte, waren nichts als Bauernopfer. Wahrscheinlich würden sie sterben, nur um dem Emir einen Anlass für die große Feier zu geben – und den Vorwand, neue Hoffnung zu schöpfen auf ein Ende der Bedrohung durch die Dschinne. Letztlich würden sie ihr Leben für das Kalkül seiner Berater geben.
Der Gedanke daran erinnerte Tarik an Junis und seine sture Entschlossenheit, ebenfalls nach Bagdad zu gehen. Der Zorn über den Leichtsinn und die Unwissenheit seines Bruders kochten wieder in ihm hoch, vermischt mit seiner weingeschwängerten Wut über die ewigen Vorhaltungen. Das unablässige Wühlen in den alten Wunden. Die Arroganz eines Unversehrten.
Maryams Tod lag sechs Jahre zurück. Tarik war damals zweiundzwanzig gewesen. Junis sechzehn, Maryam neunzehn. Selbst in Jahren gemessen, hatte sie zwischen ihnen gestanden, so nah am einen wie am anderen. Aber geliebt hatte sie Tarik, und damit hatte sich Junis nicht abfinden können. Ihr Tod hatte seine Sehnsucht nach ihr vervielfacht. So wie seinen Hass auf den älteren Bruder.
Während Amid noch über das unverhoffte Fest und die zu erwartenden Einnahmen frohlockte, schob Tarik den Becher von sich. Es war Zeit, Junis einen Besuch abzustatten. Um ihm all jene Knochen zu brechen, die nach seinem Absturz beim Rennen heil geblieben waren. Oder um sich zu vergewissern, dass noch etwas heil geblieben war.
Aber das wollte er sich nicht eingestehen, schon gar nicht an diesem Abend.
Junis bewohnte ein Quartier in der Straße der Messerschleifer. Der Weg dorthin führte durch Samarkands verruchte Seele, das Qastal-Viertel mit seinen verwinkelten Gassen und
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