Sturmkönige 01 - Dschinnland
Pferch von den Neuankömmlingen fernzuhalten, drehte sich nun nach innen, in der grimmigen Absicht, den Aufruhr niederzuschlagen. Verletzte drängten ihnen aus dem Inneren des Zirkels entgegen, manche halb blind, andere wie in Trance.
Der Dschinn mit dem hellen Haarschweif schwebte hoch über ihnen und schrie abwechselnd Befehle in Dschinn- und Menschensprache. Seine Krieger schlugen die panischen Gefangenen mit den Schäften ihrer Lanzen, stießen sie mit Knüppeln und bloßen Händen zu Boden. Es war nur eine Frage der Zeit, ehe es die ersten Toten geben würde.
»Was geht da vor?«, fragte Junis verständnislos.
»Sie haben Angst.«
»Die haben hier alle.«
»Nicht vor den Dschinnen.« Sabatea blickte angestrengt auf das Chaos im Zentrum des Pferchs. »Sie fürchten sich vor einer von ihnen. All das Blut…« Sie brach ab, als sie eine Entscheidung traf.
»Was hast du vor? « Junis wollte sie zurückhalten, aber sie war schneller. »Sabatea! Geh nicht dorthin!«
Sie hörte nicht auf ihn und eilte auf die Mitte des Pferchs zu. Der Kreis aus Wächtern war auseinandergedriftet, kaum einer achtete noch auf die übrigen Gefangenen.
Junis kam fluchend von hinten heran, aber er versuchte nicht mehr, sie aufzuhalten. »Du weißt hoffentlich, was du da tust.«
»Bleib bei den anderen.«
»Ich bleibe bei dir.«
Sie lief jetzt noch schneller auf die Dschinne und ihre panischen Gefangenen zu. In all dem Durcheinander konnte sie die Krieger nicht zählen, schätzte aber, dass mindestens zehn oder zwölf zwischen den Menschen schwebten. Die Männer und Frauen waren ihnen an Zahl nur knapp überlegen, und die meisten von ihnen waren verletzt; ein kläglicher Rest jenes Trupps, der aus Samarkand aufgebrochen war. Vor allem Soldaten mussten beim Angriff der Dschinne ihr Leben gelassen haben, ihre Leichen waren in der Wüste zurückgeblieben.
»Heh!« Sie blieb stehen, nur noch drei Schritt vom ersten Dschinnkrieger entfernt. Sie blickte hinauf zu dem Anführer, der das Geschehen von oben beobachtete und noch immer Befehle schrie. Er achtete nicht auf sie. »Verdammt!«, presste sie hervor, setzte sich wieder in Bewegung – und stürzte sich mitten in das Getümmel.
Hinter ihr fluchte Junis zum Steinerweichen, aber sie blickte nicht zurück, um sich zu vergewissern, ob er ihr folgte. Stattdessen drängte sie zwischen den hysterischen Menschen hindurch, wurde angerempelt, geschlagen und fast zu Boden geworfen, entging aber den Hieben der Dschinne, weil die nur auf jene Gefangenen achteten, die aus der Umzinglung ausbrechen wollten, nicht aber auf jemanden, der es darauf anlegte, tiefer hineinzugelangen.
Bald lichtete sich das Gewimmel zu einer freien Fläche im Herzen des Tumults. Hier war das Netz noch immer flach am Boden ausgebreitet. In seiner Mitte ruhte der Körper einer jungen Frau. Sie lag auf der Seite, mit dem Rücken zu Sabatea, die Beine angewinkelt, die Arme eng an den Leib gezogen. Ihr Oberkörper zuckte unter heftigen, unregelmäßigen Atemstößen. Ihr einstmals weißes Kleid, prachtvoll mit Goldfäden durchwirkt, war zerfetzt und über und über mit Blut getränkt. In ihrer Seite klaffte eine scheußliche Wunde.
Sabatea stolperte über die Maschen des Netzes auf das Mädchen zu und sank neben ihm auf die Knie. Jemand schrie ihr etwas zu, aber sie schaute sich nicht um. Sie spürte, dass der Dschinnhauptmann eine Mannslänge über ihr schwebte, aber auch er war jetzt nicht mehr wichtig.
Ganz vorsichtig ergriff sie das schwerverletzte Mädchen an der Schulter und rollte es langsam auf den Rücken. Dunkle Augen sahen flehend zu ihr auf. Die Verzweiflung in diesem Blick ging ihr durch Mark und Bein.
Junis war im Getümmel stecken geblieben. Offenbar hatte er die richtigen Schlüsse gezogen, denn sie hörte seine Stimme über alle anderen hinweg. »Fass sie nicht an, Sabatea!« Und gleich darauf: »Es ist die Vorkosterin des Emirs! Ihr Blut ist pures Gift!«
Sie achtete nicht auf das fremde Blut an ihren Händen, als sie den Kopf des Mädchens in ihren Schoß bettete. Tränen flossen ihr über die Wangen. Sie fühlte sich schuldig.
»Ganz ruhig«, flüsterte sie dem Mädchen zu. »Kanaia, ich bin bei dir. Du musst versuchen, ganz ruhig zu atmen. «
Die Augen des Mädchens waren trotz ihrer Verletzung ungetrübt. Jähes Erkennen erschien in ihrem Blick, gepaart mit einem schrecklichen Vorwurf. Blutbläschen platzten zwischen ihren Lippen.
Sabatea legte ihr sanft eine Fingerspitze an den Mund.
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