Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
schlimmer, vor allem nachts im Schlaf…«
»Haben Mukthir und die anderen das gewusst?«
»Glaubst du, sie fühlen sich nicht allein? Glaubst du, sie vermissen nichts? Schau uns alle doch an! Wir kämpfen für etwas, das wir nie kennen gelernt haben, weil die meisten von uns nie eine Welt ohne Dschinne erlebt haben. Jeder von ihnen fühlt sich einsam, jeden verdammten Tag. Und wenn sie hierherkommen, Mukthir oder einer der anderen, dann tun wir so, als kämen wir dagegen an, obwohl wir es doch besser wissen. Wir machen uns selbst etwas vor, aber wenigstens für eine Stunde, für kurze Zeit, tut es gut, sich selbst zu täuschen. Und zu zweit ist das einfacher als allein.« Sie sah Junis durchdringend an, aber in ihren Smaragdaugen war keine Spur von Wut. Nur die Hoffnung auf Verständnis. »Ist das Antwort genug auf deine Frage? Ich erwarte nicht, dass du es verstehst, nach den paar Tagen, die du bei uns bist. Aber reicht es aus, um es…« – sie suchte nach dem richtigen Wort –, »…um es zu billigen?«
»Ich wollte mich nicht aufspielen zum -«
»Wächter von Sitte und Anstand?«, fragte sie lächelnd.
Er ächzte. »Tut mir leid. Man sollte meinen, ich lerne irgendwann dazu, oder? Dabei habe ich denselben Fehler schon einmal gemacht.«
»Bei Tarik?«
Er nickte. »Ich hab ihn verurteilt für das, was er… was aus ihm geworden ist. Nachdem du fort warst.«
In ihr Lächeln mischte sich ein Schatten von Trauer. »Er und ich, wir geben ein großartiges Paar ab, was? Damals, in Samarkand… Tarik und ich sind uns nie besonders ähnlich gewesen, weißt du? Nicht die Spur, um ehrlich zu sein. Aber so wie’s aussieht, haben wir zumindest das doch noch hinbekommen.«
Da endlich wurde auch Junis klar, an wen ihn Maryam, die heutige Maryam, so schmerzlich erinnerte. Und warum alle Vorwürfe, die er ihr in den letzten Tagen gemacht hatte, so schal und unaufrichtig klangen – er hatte sie alle schon einmal angebracht, und nichts, gar nichts, war dadurch besser geworden. Tarik und er hatten sich dadurch nur noch weiter voneinander entfernt, und das war ein Fehler, den er nicht wiederholen wollte. Schon gar nicht bei ihr.
»Er hat dich vermisst«, sagte er leise.
»Ich habe euch vermisst.«
Er sah sie an, schweigend. Sein Herzschlag hämmerte, und vielleicht hatte sie ja Unrecht. Vielleicht reichten die paar Tage doch aus, um zu sein wie sie, um die Einsamkeit zu fühlen, das Verlorensein hier draußen im Nirgendwo.
»Ich bin nicht Tarik«, sagte er leise. »Und erst recht nicht Mukthir.«
Sie beugte sich vor und nahm lächelnd seine Hand. »Ich bin nicht die Maryam, die du gekannt hast.«
»Es wäre leichter, wenn du das nicht wärst.« Ihre Augen, ihr Mund, ihre Traurigkeit. Das alles war ihm vertraut, und nichts davon hatte sich verändert. Sie war die Maryam, die er gekannt hatte, und genau das war sein Problem.
Sie zog ihn heran und küsste ihn.
Er verstand sie. Verstand die anderen. Er war einer von ihnen. Wie hatte sie es vorhin gesagt? Genug, jedenfalls.
Er strich ihr über das kurze Haar, küsste ihre Lippen, ihre Stirn, ihren Hals. Sie scharrte mit einer Hand die verstreuten Kissen auf einen Haufen hinter ihrem Rücken, dann zog sie ihn mit sich zurück, rollte sich herum, saß mit einem Mal auf ihm. Ihre Hände pressten seine Schultern zurück auf das Lager. Sie legte einen Finger an seine Lippen, als er etwas sagen wollte, weil er das Gefühl hatte, etwas sagen zu müssen, obwohl das gar nicht nötig war. Sie streifte sich ihr Hemd über Schultern und Kopf, und er tat dasselbe mit seinem. Versuchte, sie dabei nicht aus den Augen zu lassen, nahm den Anblick ihrer nackten Haut in sich auf, den Glanz der Flammen, die ihre Brüste golden schimmern ließen, die sanften Schattentäler an ihrem Hals, ihrem muskulösen Bauch, unter ihren Achseln. Früher hatte er sie sich oft so vorgestellt, als er noch ein Kind und sie schon ein bisschen weniger Kind gewesen war als er. Aber jetzt, da er sie vor sich hatte, fehlte ihm jeder Vergleich, weil alle Erinnerungen verblassten und Platz machten für sie, für die wahre Maryam. Damals hatte er Begehren empfunden, vielleicht auch etwas wie Liebe oder was er sich als Sechzehnjähriger darunter vorgestellt hatte. Und doch war heute, sechs Jahre später, alles ganz anders. Die Offenheit ihrer Worte war nichts im Vergleich zur absoluten Aufrichtigkeit ihrer Nähe. Egal warum und egal, was morgen sein würde. Sie zu berühren, von ihr berührt zu werden, war die
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