Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
Holzgesicht einer Handpuppe, die plötzlich nur noch aus Mund und Zähnen besteht.
»Die Welt gehört den Dschinnen, Sabatea. Ich habe versagt.«
Sie war drauf und dran, zu widersprechen, aber dann las sie in seinen Augen eine Sehnsucht nach Aufrichtigkeit, die sie verwirrte und zum Schweigen brachte. Mit Lügen konnte sie umgehen – mit der Wahrheit weit weniger.
»Mein Reich«, fuhr er fort und betonte das Wort fast spöttisch, »endet an den Mauern dieser Stadt. Als die Dschinne vor über fünfzig Jahren aus der Wüste kamen, hätten meine Ahnen erkennen müssen, was geschehen würde. Stattdessen ließ mein Vorgänger diese Stadt errichten, während anderswo bereits ganze Stämme ausgerottet wurden. Mittelpunkt unserer Welt… vielleicht. Aber nur, weil wir uns nie die Mühe gemacht haben, die Welt der anderen dort draußen auch nur mit einem Blick zu würdigen.«
Immer noch stumm, blickte sie ihn an, diesen abgemagerten, womöglich todkranken Mann vor ihr auf den Kissen, und sie dachte: Wie hätte ich ihn jemals ermorden können?
»Aber wir wollten nicht über mich oder meine Ahnen sprechen, Sabatea. Erzähl mir von diesem Tarik.«
»Haben Eure Soldaten ihn -«
Er schüttelte den Kopf. »Er ist ihnen entkommen. Es hat nicht viel gefehlt, und er wäre in den Palast eingedrungen. Seine Liebe zu dir muss wahrlich groß sein. Er hat sein Leben aufs Spiel gesetzt, um dich zu befreien.«
Ihre Gefühle für Tarik hatten sich während ihrer Reise durchs Dschinnland grundlegend verändert, von ihrer ersten gemeinsamen Nacht, als von Liebe nun wirklich noch keine Rede sein konnte, bis hin zu dem Augenblick vor Haruns Thron, als die Soldaten sie mit Gewalt auseinandergerissen hatten.
»Es war ein Fehler, ihn aus dem Palast werfen zu lassen«, kam er auch diesmal ihrem unausgesprochenen Vorwurf zuvor. »Er wäre nicht der erste Besessene gewesen, der aus dem Dschinnland zu uns gekommen ist.«
»Tarik ist nicht besessen.«
Blitzschnell beugte der Kalif sich vor, sein Blick hellwach und von messerscharfer Schläue erfüllt. »Was ist er dann?«
Sie war nahe daran, ihm alles zu erzählen: Dass etwas mit Tarik geschehen war, als er den verstümmelten Körper des Narbennarren in die Flammen der Hängenden Stadt geschleudert hatte. Und dass sein linkes Auge die Welt seither so sah, wie der Dschinnfürst Amaryllis sie erblickt hatte. Er war weder wahnsinnig noch von einem Teufel besessen. Jedenfalls nicht so, wie es Harun und sein Hofstaat befürchtet hatten.
»Was ist da draußen passiert?«, fragte der Kalif.
Zögernd, mit sorgfältig gewählten Worten, berichtete sie ihm von den Ereignissen im Kopet-Dagh, vom Untergang der Rochnester und dem Tod des Narbennarren. Von der Rettung der Gefangenen durch die Sturmkönige, jenen Männern und Frauen, die auf Wirbelstürmen ritten und der Dschinntyrannei erbitterten Widerstand leisteten.
Schließlich erwähnte sie sogar Maryam, das Mädchen mit den Alpträumen von einer immerwährenden Gefangenschaft. Maryam, die Tarik vor sechs Jahren an den Narbennarren verloren und für tot gehalten hatte. Bis Amaryllis ihm verraten hatte, dass er selbst nach ihr suchte, aus Gründen, die keiner von ihnen vollends verstanden hatte. Es schien eine Verbindung zwischen dem Narbennarren und Maryam zu geben, etwas, das mit den Visionen zusammenhing, die sie offenbar geteilt hatten.
»Und du«, sagte der Kalif schließlich, nachdem sie ihren Bericht beendet hatte, »bist in all das hineingeraten, obwohl dein Ziel doch eigentlich ein ganz anderes war.«
»Ich weiß, dass Ihr mich töten werdet«, erwiderte sie gefasst. »Ich fürchte den Tod nicht.«
»Nein, nicht deinen Tod. Aber den deiner Mutter.«
Sie ballte die Hände zu Fäusten und vergrub sie in den Kissen. »Ihr wisst von ihr?«
»Aber natürlich«, sagte er mit einem Lächeln. »Das Einzige, woran es mir nicht fehlt, ist Wissen. Von morgens bis abends bestürmt man mich mit Dingen, von denen irgendwer glaubt, dass der Kalif sie erfahren sollte. Und wenn ein Emir im fernen Samarkand, mein Stellvertreter auf dem Thron Khorasans, ein Mordkomplott gegen mich schmiedet, dann ist das in der Tat etwas, von dem ich Kenntnis haben sollte.« Er stützte die Ellbogen auf seine Knie und verschränkte die Hände unterm Kinn. Über den scharfen Grat seiner Nase sah er sie eindringlich an. »Ich weiß schon lange, dass Emir Kahraman meinen Tod will. Ich weiß auch, dass er einen Pakt mit den Dschinnfürsten geschlossen hat, der ihm die
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