Sturmkönige 03 - Glutsand
Erregung. Ihr verklebtes Haar stand in alle Richtungen ab, und sie schien noch immer Mühe zu haben, sich auf den Beinen zu halten.
Hoch oben zwischen den Glastrümmern stieß Ifranji einen Schrei aus und brüllte den Namen ihres Bruders über den Platz. Tarik konnte sie von hier unten aus nicht mehr sehen, sie musste sich irgendwo zwischen den Glasspitzen befinden, in denen sich auch der Teppich verfangen hatte. Wenn sie dort oben keine ebene Fläche fand, um das Knüpfwerk auszubreiten, war all ihre Mühe vergebens. Er konnte nur hoffen, dass Nachtgesichts Niederlage sie nichts Unüberlegtes tun ließ. Er kannte niemanden, der so impulsiv und voreilig handelte wie Ifranji.
Und noch jemand hatte eine Entscheidung getroffen. Der Narbennarr wusste, dass Tarik und Sabatea keine ernstzunehmende Gefahr für ihn darstellten. Sie würden ohnehin sterben, wenn Skarabapur unterging.
Der Einzige, der Amaryllis’ Plan im Augenblick vereiteln konnte, war Qatum. Der Magier, dessen wahre Gestalt keiner von ihnen kannte und der doch eine größere Bedrohung darstellte als alle Dschinnfürsten und Kettenmagier, wandte sich jetzt im Körper des Mädchens Atalis von dem reglosen Nachtgesicht ab und nahm wieder seinen Weg zum Knochenthron auf – und zu der weißen Gestalt, die wie tot dort oben im Knochengeflecht hing.
Tarik verstand noch immer nicht alle Zusammenhänge. Vor allem nicht, warum es zwei Jibrils gab, einen im Thron und einen dort draußen in dem höllischen Wirbelsturm. Aber im Moment zählte ohnehin nur, sie alle irgendwie von dem Thron fernzuhalten, jeden mit seinen eigenen Absichten, ganz gleich, ob es der Narbennarr, Qatum oder der Herr der Sturmkönige war.
Er schrak auf, als Sabatea einen Ruf ausstieß. Vielleicht seinen Namen – aber sicher war er nicht, weil er noch immer vor allem seinen eigenen Atem hörte, das rasende Pochen seines Herzens, das Blut in seinen Ohren. Als er sich umschaute, sah er, dass Maryam von Sabatea abgelassen hatte. Sonnenstrahlen brachen sich auf Tausenden von Splittern, die im Körper der lebenden Toten steckten, hüllten sie in ein betörendes Glitzern, das ihr bei allem zerstörten Fleisch darunter einen Anschein überirdischer Schönheit verlieh.
Maryam stürmte in die Richtung der einsamen Magiertochter draußen auf dem Platz, um Qatum zuvorzukommen und selbst den Knochenthron zu besteigen. Tarik lag genau in Maryams Weg, sie setzte über ihn hinweg, achtete nicht auf ihn – und das war ein Fehler.
Er stieß die Arme nach oben, bekam eines ihrer Beine zu packen, zerschnitt sich Hände und Finger an den Scherben in ihren Waden, registrierte sogar noch, dass sie nicht mehr blutete, so ausgetrocknet, so tot war sie längst – und riss sie in einer verzweifelten Drehung zu Boden.
Der Narbennarr in ihr kreischte auf, ein fremdartiger Laut, der heulend über ihre zerfetzten Lippen drang, wütend, protestierend – vor allem aber von tierhaftem Zorn erfüllt. Glas bohrte sich tiefer in Maryams Körper, als sie aufschlug. Tarik riss die Hände zurück und nahm den Schmerz nur noch am Rande wahr. Viel schlimmer war die plötzliche Erkenntnis, dass dies tatsächlich Maryam war, nicht irgendein Gestalt gewordener Alptraum – es war Maryam, um die er all die Jahre so getrauert hatte, deren Verlust ihn beinahe zerstört hatte.
Sie rollte herum, und es waren ihre Augen, die ihn hasserfüllt anstarrten, nicht die des Narbennarren, selbst wenn er es war, der sie benutzte, so, wie er Tarik selbst all die Wochen über benutzt hatte.
Hinter ihm näherte sich Sabatea, um notfalls mit bloßen Händen auf Maryam loszugehen, während er spürte, dass er kaum noch etwas tun konnte, dass sein eigener Körper beinahe ebenso furchtbar zugerichtet war wie der von Maryam. Sie richtete sich auf, hin und her gerissen zwischen der Verlockung, Tarik und Sabatea endgültig den Garaus zu machen, und der Notwendigkeit, Atalis nachzusetzen, um vor ihr den Knochenthron zu erreichen.
Da stieß Ifranji über ihnen einen wilden Schrei aus, als sie auf dem fliegenden Teppich zwischen den Glaszacken der Ruine hervorschoss, trudelnd und schlingernd, weil ihre Hände vom Klettern blutig waren und das Muster verunsicherten, aber doch auf einer gezielten Bahn, die sie über die drei Gestalten am Boden hinwegführte, quer über den offenen Platz, über ihren leblosen Bruder hinweg, auf geradem Kollisionskurs.
Atalis fuhr herum, bevor Ifranji sie erreichte.
Sie riss eine Hand hoch, vollführte damit einen
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