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Sturmkönige 03 - Glutsand

Sturmkönige 03 - Glutsand

Titel: Sturmkönige 03 - Glutsand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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junge Diebin hatte ihre Blicke überall, und die flüchtige Berührung war ihr nicht entgangen. Dafür erntete sie einen strafenden Knuff ihres Bruders.
    Junis presste die Lippen aufeinander und erhob sich. Er trug keine Waffe, aber Tarik begriff, dass er sich mit bloßen Händen auf die Dschinne stürzen würde, falls er Gelegenheit dazu bekam. Womöglich wollte er dafür sorgen, dass die Gelegenheit kam.
    »Junis«, zischte Tarik über die Schulter. »Nicht!«
    Sein Bruder hörte nicht auf ihn. Blickte nicht einmal in seine Richtung. Auf seinen Zügen spiegelte sich eine Abfolge düsterer Regungen.
    Tarik schaute hektisch nach vorn.
    Der Patrouillenführer schwebte gebeugt über dem Boden, nur eine Armlänge oberhalb der gehärteten Kante des Abdrucks. Die beiden anderen Krieger standen zehn Meter über ihm in der Luft, Rücken an Rücken. Einer sah genau in die Richtung des Nests.
    Junis machte sich daran, den Wall zu erklimmen.
    »Junis!«, flüsterte jetzt auch Sabatea. »Bleib unten.«
    »Ich habe einen Dschinnfürsten getötet.« Er sprach tonlos und blickte durch sie hindurch. »Ich habe seinen Schädel unter meinen Füßen zertreten.«
    Almarik spannte sich. »Halt den Mund und setz dich, Junge.«
    »Wie viele Dschinnfürsten hast du erledigt, Byzantiner?«, gab Junis zurück. Immerhin, dachte Tarik, reagierte er wieder auf das, was andere sagten.
    »Wir können später herausfinden, wer der härtere Kerl ist«, raunte Almarik düster. »Jetzt geh zurück an deinen Platz und sei still!«
    »Hört auf«, flüsterte Sabatea. »Beide!«
    »Junis«, sagte Tarik eindringlich, »du wirst noch genug Gelegenheit bekommen, Maryam zu rächen.«
    »Wäre das nicht eigentlich deine Aufgabe?«
    Tarik nahm es ihm nicht übel. Er war nicht sicher, was zwischen Junis und Maryam vorgefallen war, aber es gehörte nicht viel dazu, die Zeichen zu deuten. Es tat ihm leid für seinen Bruder, leid für Maryam, aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass dies nun mal die Art und Weise war, wie das Leben mit einem umsprang. Vom Schicksal konnte man keine Gerechtigkeit einfordern. Wahrscheinlich war es genau diese Erkenntnis, die dafür verantwortlich war, dass er nach sechsjähriger Trauer um Maryam nur noch Zorn empfand, aber keine Verzweiflung.
    Der Dschinn beendete seine Untersuchung des Krallenabdrucks. Junis war nun auf einer Höhe mit Tarik und den beiden anderen. Seine Wangenmuskeln zuckten, als er unterhalb der Steinkante innehielt. Almarik war anzusehen, dass er nicht zögern würde, Junis aufzuhalten, falls er noch eine einzige Bewegung nach oben machte. Die Frage war, auf welche Weise er dies tun würde. Tarik hoffte, dass sein Kräftemessen mit dem Byzantiner nicht schon heute und ausgerechnet hier stattfinden musste – und nicht inmitten eines Angriffs der Dschinnkrieger.
    »Damit hilfst du niemandem«, flüsterte Sabatea Junis zu. »Schon gar nicht Maryam.«
    Unten im Nest nickte Ifranji heftig, hielt aber zur Abwechslung den Mund. Tarik musste sich zwingen, die Dschinne im Auge zu behalten, während Junis mit sich rang und nicht bemerkte, dass Almariks Schwert langsam in seine Richtung schwenkte.
    Tariks Blick kreuzte finster den des Ifritjägers. Beide wussten, wohin dies führen würde. Umso absurder, dass die Entscheidung nicht bei ihnen lag, sondern allein bei Junis, der nicht ahnte, wie angespannt die Lage zwischen den beiden Männern war.
    Sabatea zog ihre Hand von Tarik fort und berührte Junis an der Wange. Einmal, vor einer Ewigkeit, hatte sie vorgegeben, etwas für ihn zu empfinden – aber was sie jetzt tat, war kein Spiel, keine falsche Zuneigung. Sie trauerte wirklich mit ihm um Maryam, und sie wollte nicht, dass er hinaus in sein Verderben lief.
    »Das macht sie nicht wieder lebendig«, raunte sie – dann beugte sie sich an sein Ohr und wisperte etwas hinein. Junis’ Miene blieb einen Augenblick lang starr in seinem Leid, dann sah er Sabatea stirnrunzelnd an. Sie nickte und flüsterte abermals etwas. Sein flackernder Blick streifte Tarik, tastete über die anderen Gefährten unten in der Senke und blieb schließlich an dem verhüllten Kristallschrein haften.
    »Ist das wahr?«, fragte er leise.
    Sabatea nickte erneut.
    Junis entspannte sich ein wenig, und zum ersten Mal sah er nicht mehr aus, als wollte er sich im nächsten Moment über den Wall schwingen.
    Sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln, als er rückwärts und ohne sie aus den Augen zu lassen zurück nach unten kletterte. Tarik atmete auf.

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