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Sturmkönige 03 - Glutsand

Sturmkönige 03 - Glutsand

Titel: Sturmkönige 03 - Glutsand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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brodelnden Hexenkessel aus Dunkelheit und Nebelphantomen verfolgte ihn. Vielleicht war er es, der ihm die Kraft und Geduld gab, Stück für Stück die Fesseln zu lockern, die seine Hände banden. Es reichte nicht aus, um sich zu befreien und sich hinterrücks auf Almarik zu stürzen. Aber nicht mehr lange, und seine Hand würde genug Spielraum haben, um ins Muster zu greifen.
    »Ich drehe jetzt die Sanduhr«, brach Ifranji das Schweigen. Tarik konnte sie auf dem hinteren der drei Teppiche nicht sehen, darum hatte er nicht bemerkt, dass sie die Uhr an sich genommen hatte. Er lächelte. Hätte er ihr ins Gesicht gesagt, dass sie nicht halb so übel war, wie sie sich gab, dann hätte sie ihn vermutlich ausgelacht. Vielleicht mochte er sie gerade deshalb. Er war einmal genauso gewesen wie sie. Nur bitterer und kälter.
    »Wie war das noch, Khalis?«, spottete sie. »Die Brücke könnte niemals lang genug sein, dass ein Elfenbeinpferd vier Stunden braucht, um ans andere Ende zu kommen?« Sie schnaubte verächtlich. »Die Hälfte dieser Zeit haben wir hinter uns, aber ich bin nicht so sicher, ob das auch für die Hälfte der verdammten Brücke gilt.«
    Tarik ging das Risiko ein, sich weit genug umzudrehen, um einen Blick nach hinten zu werfen, auf den mittleren der drei Teppiche. Obwohl ihm alles weh tat, bekam er allmählich heraus, wie weit er sich bewegen durfte, ohne seitlich herunterzurollen. Zudem half es ihm dabei, die Fesseln seiner rechten Hand noch ein wenig weiter zu lockern.
    Khalis kauerte als dunkler Umriss vor dem Honigschrein in seinem Rücken. Hinter ihm reflektierte die Kristalloberfläche des Behälters das Mondlicht. Die beiden Körper darin waren nahezu unsichtbar. Nur manchmal tauchte eine der Frauen schemenhaft aus dem Dunkel, berührte mit kalter Haut das Glas und wirkte dabei noch leichenhafter. Einmal mehr wünschte Tarik, er hätte Maryam dieses Schicksal erspart.
    Der Scherbensteg war selbst an seinen schmalsten Stellen breit genug, um drei Teppichen nebeneinander Platz zu bieten. Aber keiner von ihnen wollte außen fliegen, unmittelbar am Rand der Brücke. Vielleicht weil jeder, auch Almarik, insgeheim auf eine Erschütterung wartete, auf einen Angriff, auf irgendetwas, das ihnen sagte, dass dies kein Alptraum war, der endlos so weitergehen würde. Eine gläserne Straße ins Nichts. Tarik hatte früher oft solche Träume gehabt, und es hatte keines Deuters bedurft, um zu erkennen, wovor sie ihn warnen wollten. Er hatte seinem alten Leben abgeschworen, aber wohin hatte es ihn geführt? Nur auf dieselbe verteufelte Straße, die niemals ein Ende nahm.
    Früher hätte er solch eine Selbsterkenntnis mit dem Wein in Amids Taverne betäubt. Heute ertränkte er sie in Zorn.
    Seine Fingerspitzen bewegten sich unendlich langsam. Geduldig schoben sie seine Fesseln auseinander. Die vielen Jahre, in denen seine Hände das Muster beherrscht hatten, all die Knoten und Schleifen und Stränge, hatten seine Finger flink, seinen Tastsinn unfehlbar gemacht. Es half ihm, wenn er sich vorstellte, dass dies hier nichts anderes war als die Bändigung eines störrischen Knüpfwerks. Noch bevor er sprechen gelernt hatte, hatte er das Muster gezähmt; er war allein auf den Winden geritten, ehe der erste Satz über seine Lippen gekommen war. Sein Vater war ein unnachgiebiger Lehrer gewesen. Heute war er ihm zum ersten Mal dankbar dafür.
    Nacheinander zog er die Finger aus einer gelockerten Schlaufe. Er brauchte eine halbe Ewigkeit, ehe er alle fünf befreit hatte. Aus dem Strick, der seinen Unterarm festhielt, kam er nicht heraus, aber es reichte, wenn er die Hand nach unten biegen und ins Muster schieben konnte. Almarik würde es sofort bemerken, natürlich. Darum noch etwas Geduld. Abwarten, bis der richtige Moment gekommen war.
    Sie flogen keine zwei Meter über der glänzenden Oberfläche des Glasstegs. Die Bruchkanten waren scharf wie Messer. Falls der Teppich ihn abwarf und er auf eine der Kanten fiel, war es vorbei. Genauso wenn er mit dem Kopf zuerst auf das Glas stürzte.
    Aber er ertrug es nicht länger, dass andere über sein Schicksal bestimmten. Er musste es versuchen. Jetzt.
    Mit tonloser Lippenbewegung jagte er die Beschwörung durch seine Fingerspitzen in das Muster des Gardeteppichs. Das Knüpfwerk erkannte ihn wieder – er hatte diesen Teppich bereits allein geritten, bei seinem missglückten Versuch, Sabatea aus dem Palast zu befreien. Vor ihm stieß Almarik einen zornigen Ruf aus, rammte den Arm noch

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